Anfassen verboten: Hilfe für die Kinderseele
Selbst viele Erwachsene wissen nicht, wie sie ihre Gefühle äußern oder in schwierigen Situationen um Hilfe bitten sollen. Wie schwierig dies für Kinder ist, erfahren die Mitarbeiter/innen des Sozial-Therapeutischen Instituts Berlin-Brandenburg (STIBB e.V.) täglich bei ihrer Arbeit.
Vor 27 Jahren gegründet, um misshandelten und missbrauchten Kindern zu helfen, hat sich der Kleinmachnower Verein, der im vergangenen Herbst vom Zehlendorfer Damm in die Driftstraße 10 gezogen ist, zu einer Einrichtung entwickelt, die Kinder und Familien in allen Lebenslagen betreut. „Wir sehen uns als Gesamtpaket“, erklärt Gründerin und Leiterin Annelie Dunand. „Viele Leute haben Probleme, sich immer wieder an neue unbekannte Stellen zu wenden. Bei uns bekommen sie Beratung und auch soziale Hilfe.“ Wie wichtig diese niedrige Hemmschwelle ist, weiß auch ihr Stellvertreter Robert Müller. „Wenn man jemanden bereits kennt, ist das Eis schon mal gebrochen. An jemanden, mit dem man gute Erfahrungen gemacht hat, wendet man sich im Ernstfall schneller.“
Der Verein hat insgesamt 22 Mitarbeiter, 12 davon sind als Pädagogen oder auch als Psychologen und Ärzte beratend tätig. Denn einen großen Teil der Vereinsarbeit macht die Erziehungs- und Familienberatung aus. Bei mehr als 1000 Problemen, mit denen sich Betroffene 2018 gemeldet haben, handelte es sich bei der Hälfte davon um Störungen in der Kommunikation. Das Beratungsangebot nehmen zum Beispiel Eltern an, deren Kindern die Scheidung Probleme bereitet oder Patchworkfamilien, bei denen die Zusammenführung nicht so gut klappt, wie erhofft.
Weil Kinder untereinander manchmal besser kommunizieren können als mit Erwachsenen, veranstaltet der STIBB e.V. alle zwei Wochen einen Treff für Kinder ab acht Jahren, bei dem im Garten gespielt wird oder die Mitarbeiter mit den Kindern Ausflüge in den Wald oder auch mal in den Kletterpark unternehmen, einmal im Jahr wird eine Ferienfahrt gemacht. An den Treffen nehmen vor allem die Kinder aus dem Beratungskonzept teil, mitmachen kann nach einer Anmeldung aber jeder. „Kinder sind untereinander manchmal die besseren Berater. Sie erzählen ihre Probleme lieber einem Gleichaltrigen, der vielleicht dieselben Probleme hat, als einem Erwachsenen“, erzählt Müller. Die Gruppentreffen sollen das soziale Miteinander erleichtern und das Selbstbewusstsein der Kinder und Jugendlichen stärken.
STIBB e.V. hat aber auch Beratungs- und Präventionsangebote für pädagogische Einrichtungen entwickelt und geht damit an Kitas und Schulen, wenn Lehrer oder Erzieher einen Missbrauch vermuten oder ein Projekttag veranstaltet wird, der aufklären soll. Auch für Jugendeinrichtungen gibt es ein Programm, mit dem zum Beispiel das Jugendcafé „Cupcake“ und der Jugendclub „Carat“ in Kleinmachnow arbeiten. „Wir arbeiten auf Hilfeanfrage“, erklärt Dunand. Gerne wäre sie an jeder Schule präventiv tätig, doch das sei nicht zu schaffen. Auch, weil der Verein in ganz Brandenburg tätig ist und ihre Mitarbeiter auch mal weiter entfernt in Cottbus oder Prenzlau unterwegs sind. „Aber Krisen haben grundsätzlich Vorrang. Nach unserem 48-Stunden-Gebot wollen wir in dieser Zeit wenigstens telefonisch erreichbar sein.“
An den pädagogischen Einrichtungen gehen die Mitarbeiter auf jede Situation individuell ein. „Wir haben da keinen Koffer, aus dem wir zaubern“, sagt Sozialpädagogin Nina Frank. Bei den Kindern bis zur 2. Klasse arbeitet sie unter anderem mit einem Schattenspiel, ab der dritten mit einem Film. Beide zeigen den Kindern auf spielerische Weise, welche Strategien die Täter haben und wohin sie sich wenden können, bevor oder wenn es zum Missbrauch kommt. Das habe auch schon dazu geführt, dass ein Mädchen vom Missbrauch durch ihren Onkel erzählt habe.
Grundsätzlich sei Prävention als echte Prävention aber noch nicht so bei den Einrichtungen angekommen, wie es erforderlich wäre. „Wenn wir angesprochen werden, ist die Krise meist schon da“, erklärt Müller. „Wenn die Schulen oder Kitas kein Problem haben, sehen sie auch die Notwendigkeit unseres Besuches nicht. Dann kann man nur noch reagieren.“
Ein pauschales Rezept, um Missbrauch zu erkennen, gibt es nicht, sagt der Rehabilitationspädagoge. „Jedes Kind ist anders. Man sieht es keinem an der Nasenspitze an.“ Denn manche Kinder versuchen, den Täter auch durch Freundlichkeit zu beschwichtigen. Wichtig sei hier vor allem Offenheit. Dunand hat beobachtet, dass die Einschüchterungsmethoden der Täter in den letzten Jahren immer brutaler geworden sind. „Da wird einem kleinen Kind erzählt, dass die Mutter stirbt, wenn es das weitererzählt. Oder dass die Mutter Bescheid weiß und einverstanden ist. Dann ist es natürlich schwer, etwas aus einem Kind herauszubekommen.“ Außerdem gibt es auch Übergriffe zwischen Kindern und Betroffenen und dabei sei nicht immer klar, wo Missbrauch beginnt und wo es sich um normales kindliches Interesse am menschlichen Körper handelt. Hier setzt die Arbeit der Fachkräfte an. Hat sich ein Kind offenbart, sollte man laut Dunand aber unbedingt darauf reagieren. „Wenn sich das Kind anvertraut und dann schweigt der Erwachsene, weil er nicht weiß, wie er mit der Situation umgehen soll, bekommt das Kind dies ja mit und denkt dann, es ist seine Schuld, weil es gepetzt hat.“ Auch hier hilft der Verein. So gibt es täglich von 09:00 bis 19:00 Uhr eine telefonische Beratung, an die sich auch Menschen wenden können, die nicht direkt betroffen sind.
Die wohl umfangreichste Aufgabe ist für den Verein aber die Opferhilfe. Die Betreuung von Missbrauchsopfern vor und während eines Strafverfahrens kann eineinhalb Jahre und mehr dauern. Genau hier steht der Verein aber vor einem Problem. Trotz finanzieller Unterstützung durch die Gemeinde Kleinmachnow für den Bereich der offenen Arbeit oder Einrichtungen wie die Neuen Kammerspiele, die am 23. März ein Benefizkonzert zu seinen Gunsten veranstalteten, ist der Verein dringend auf Spenden angewiesen, um Kinder und Familien in Not zu unterstützen. Vom Land Brandenburg bekommt der STIBB e.V. zwar regelmäßig eine Förderung, für die Opferhilfe leider immer nur für ein Jahr oder sogar nur für sechs Monate. Für die Familien, die sich derzeit in einem Gerichtsprozess befinden, wäre es problematisch, wenn es nicht weiterginge. Dunand hofft, bald einmal eine Förderzusage zu bekommen, die den Verein über mehrere Jahre absichert.
Text/ Foto: Andrea Nebel