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Schöner Garten, hungriges Eichhörnchen?

Es sieht ein wenig aus, als hätte man nach dem Wäsche abnehmen die Klammerbeutel vergessen. Von der Decke der Volière hängen etwa 30 dicke bunte Stoffbeutel herab. Aber darin herrscht eine Menge Leben. Plötzlich lugt ein rotbraunes Köpfchen vorsichtig hervor und ein junges Eichhörnchen huscht am Gitter entlang zur Futterstelle, um dort Sonnenblumen- und Haselnusskerne einzusammeln. „Die Beutel imitieren das Nest der Hörnchen“, erklärt Tanya Lenn vom Verein ­Eichhörnchen-Hilfe Berlin / ­Brandenburg. „Jetzt während der Winterruhe verbringen die Tiere dort viel Zeit und kommen nur zum Fressen heraus.“

Die Eichhörnchenhilfe Berlin-Brandenburg in Teltow hilft ausgehungerten, verletzten oder kranken Tieren. Die Tiere finden keine Nahrung, weil die Gärten zu perfekt sind.

Zufluchtsort in Teltow

In Teltow haben schon viele ausgehungerte, verletzte oder kranke Eichhörnchen Hilfe gefunden. ­Tanya Lenn ist seit 20 Jahren im Tierschutz aktiv, vor zwölf Jahren hat sie den Verein Eichhörnchen-Hilfe Berlin/ ­Brandenburg gegründet. Zu den Eichhörnchen kam sie Jahre zuvor durch Zufall. „Damals hat mir jemand ein Hörnchen gebracht, und ich habe niemanden gefunden, der sich damit auskannte und mir helfen konnte.“

Verschiedene Probleme

Durch die Beschäftigung mit dem Thema erkannte sie, wie wichtig die Hilfe für die Tiere ist. „Die Eichhörnchen haben keine Lobby, also wurde ich zu ihrem Sprachrohr“. In den Ballungsgebieten wie ­Berlin und dem angrenzenden Speckgürtel habe die Population der Eichhörnchen in den vergangenen Jahren stark abgenommen. Auf dem Speiseplan der Tiere stehen Früchte, Beeren, Pilze, Knospen, Triebe und Rinde. Das klingt zwar anspruchslos, doch da, wo immer mehr Häuser entstehen, Besitzer ihren Rasen millimeterkurz trimmen und Zäune statt Hecken anlegen, bleibt wenig Nahrung für die flinken Kletterer. „Die Hörnchen leiden an dem starken Zuzug in der Region. Überall verschwinden Waldflächen, damit wir Menschen Häuser und Straßen darauf bauen können, und die Tiere müssen darunter leiden, weil sie keine Nahrung mehr finden.“ Doch das ist nur ein Punkt auf der langen Liste.

Die Eichhörnchenhilfe Berlin-Brandenburg in Teltow hilft ausgehungerten, verletzten oder kranken Tieren. Die Tiere finden keine Nahrung, weil die Gärten zu perfekt sind.

Auch das veränderte Klima spiele eine große Rolle. „Die Winter sind zu warm geworden, darum kommen die Tiere nicht zur Ruhe. Sie gehen zu früh an ihre Reserven und starten dann ausgehungert in die Aufzuchtsaison. Wir haben beobachtet, dass die Saison seit einigen Jahren bereits einen Monat früher im Januar beginnt und die Weibchen bis September Junge bekommen. Dann sind die Kinder zu schwach, weil die Mütter keine Kraft haben.“ Auch der Stress, zu dem die erfolglose Futter- und Nistplatzsuche führe, trage dazu bei, dass die Hörnchen ihren Nachwuchs nicht durchbringen können. „Eichhörnchen sind sehr stressanfällig. Zu Silvester sind uns letztes Jahr einige Hörnchen gestorben, weil es ihnen zu laut war“, erklärt Lenn.

Zudem verändern sich die Eichhörnchen körperlich. Einige Parasiten sind resistent gegen die Mittel geworden, und wenn die Tiere keine Hilfe bekommen, gehen sie daran ein. Angst haben müssen Helfer aber nicht, denn Eichhörnchen haben keine auf den Menschen übertragbare Krankheiten wie zum Beispiel Tollwut.

Verzweiflung macht zutraulich

„Ein Eichhörnchen, das auf den Menschen zugeht, ist verzweifelt und braucht dringend Hilfe. Die Jungtiere machen das, wenn sie ihre Mutter nicht finden. Wenn die Mutter nach einiger Zeit nicht mehr auftaucht, kann man das Hörnchen mit der Hand aufnehmen. Um das kleine Tier vor einer Unterkühlung zu bewahren, wickelt man es am besten unten in die Jacke oder baut aus einem Handtuch oder einer Decke ein Nest, unter das man eine Wärmflasche legt.“ Meist sind die Tiere dann schon eine lange Zeit unterversorgt. Als Erstversorgung dient hier gut eine Lösung aus abgekochtem Wasser oder Fencheltee, erwas Traubenzucker und Salz. In der Station in Teltow wird es dann weiter versorgt.

1.000 Anrufe pro Jahr

Etwa 800 bis 1.000 Anrufe bekommt Lenn pro Jahr. Etwa 100 Tiere kommen jährlich in die Station, rund 1.800 Tiere wurden gerettet, seit es die Eichhörnchenhilfe gibt. Derzeit versorgt Lenn zusammen mit ihrem achtköpfigen Helferteam rund 30 Tiere. Sobald sich ein Finder meldet, ist die Teltowerin zur Stelle. Dann wird das Tier in dem großen hörnchengerechten Gehege im Garten untergebracht oder in einem der zwei Hörnchenzimmer. Eines davon ist kranken Tieren vorbehalten.

Auswildern ist Pflicht

Das Bundesnaturschutzgesetzt verlangt, dass die Tiere wieder frei gelassen werden. Darum will Lenn die Tiere so ­wenig wie möglich vermenschlichen. Im Frühjahr werden die meisten von ihnen in unterschiedliche große Auswilderungsgehege in Brandenburg gebracht, die tagsüber geöffnet sind und wo sich die Eichhörnchen in ihrem eigenen Tempo wieder an die Freiheit gewöhnen können. Trotzdem bleibt ihnen die Sicherheit, dass sie im Gehege Futter finden.

Die Gehege werden von unterschiedlichen Ehrenamtlichen auf ihren Grundstücken bereitgestellt. „Da freuen wir uns immer über Helfer, da die Tiere ja nicht immer am selben Ort in die Freiheit entlassen werden können. Dann fressen sie sich irgendwann gegenseitig die Nahrung weg und landen wieder bei uns.“

Gärten ohne Nahrung

Doch alle Hilfe nützt wenig, wenn sich die Menschen nicht ändern, befürchtet Lenn. Auch wenn der einzelne am Baugeschehen in der Region wenig ändern kann, können Hausbesitzer einiges tun. „Es würde den Hörnchen und vielen anderen Tieren helfen, wenn mehr Menschen ihre Gärten wieder naturgerechter gestalten würden. Dazu gehört es, Bäume stehen zu lassen, Laubhaufen liegen zu lassen, Hecken zu pflanzen und einen Haselnussbaum. Man hilft allen Tieren, wenn man in heißen Sommern kleine Schalen mit Wasser überall dort aufstellt, wo es möglich ist.

Gefährliche Regentonnen

Tiefere Gewässer wie Regentonne, Teich und Swimmingpool aber sind für die Hörnchen gefährlich und sollten unbedingt abgedeckt werden, wenn man sie nicht nutzt. Wenn eine Eichhörnchenmutter ertrinkt, betrifft das den ganzen Wurf. Dann hat man auf einmal sieben Tiere getötet.“ Auch der Verzicht auf Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel sei wichtig. „Schneckenkorn tötet nicht nur Eichhörnchen, sondern auch Katzen, Igel und andere Wildtiere. Mal abgesehen von dem Uran, das darin enthalten ist und in die Erde gelangt. Wer ein bisschen auf die Natur achtet, kann vielen Tieren helfen.“

Adresse

Wer sich dem Helferteam anschließen oder für die Eichhörnchen spenden möchte, findet auf der Internetseite des Vereins weitere Informationen.

Text: Andrea Nebel/ Fotos: ste