Homosexualität: Zwischen Gleichberechtigung und Diskriminierung
Seit 2017 dürfen Partner gleichen Geschlechts heiraten – bis dahin war es ein weiter Weg. Doch bis heute werden Homosexuelle nicht überall in Europa vor dem Gesetz gleich behandelt. Steglitz-Zehlendorfs polnische Partnerstadt Poniatowa erklärte sich für „LGBT-ideologiefrei“ – im Berliner Südwesten sorgte dies für Entsetzen.
„Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen“: Mit diesen Worten erlaubt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) seit 2017 volljährigen Bundesbürgern, unabhängig von ihrem Geschlecht oder sexueller Identität den Bund fürs Leben zu schließen. Bis dahin war es ein weiter Weg: Im Kaiserreich bestrafte Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs (StGB) homosexuelle Handlungen zwischen Männern. In der Weimarer Republik gab es in den spätern 1920er Jahren Bemühungen, diese Bestimmungen zu entschärfen – die Krise von Staat und Gesellschaft und das Ende der Demokratie kamen Lockerungsschritten zuvor. Die Nationalsozialisten verschärften die Verfolgung; Männer – und weniger sichtbar auch Frauen – mit dem „rosa Winkel“ an ihrer Häftlingskleidung wurden in Konzentrationslagern misshandelt und ermordet. An die Verfolgung von Homosexuellen erinnert seit 1989 das Mahnmal „Totgeschlagen, totgeschwiegen“ am Südausgang des Berlinr U-Bahnhofs Nollendorfplatz:
Das Ende der NS-Diktatur bedeutete kein Ende der Diskriminierung Homosexueller. Wie viele Gesetze aus der Weimarer Republik fand auch der „Schwulenparagraf“ 175 seinen Weg ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. 1957 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Strafbarkait männlicher Homosexualität sogar für verfassungskonform – von einem gesellschaftlich freien Klima war die Bundesrepublik weit entfernt. Auch die DDR behielt die Strafbarkeit zunächst bei: Ost-Berlin hatte 1949 ebenfalls den „Schwulenparagrafen“ 175 zunächst in ihre Rechtsprechung übernommen. Hier bot die Justiz seit den 1950er Jahren jedoch Möglichkeiten, Strafverfahren einzustellen, und 1968 wurde Homosexualität „entkriminalisiert“ – fortan regelte Paragraf 151 des neuen DDR-Strafgesetzbuchs die nur noch formelle Strafbarkeit. Von gesellschaftlicher Freiheit und Akzeptanz war jedoch auch der Arbeiter- und Bauernstaat weit entfernt – Homosexualität blieb ein gesellschaftliches Tabu. Die Entkriminalisierung in der BRD folgte 1969, doch in beiden deutschen Staaten blieben sie formell eine Straftat.
Ein juristisches Kuriosum
1987 entschied der Oberste Gerichtshof der DDR, dass „Homosexualität ebenso wie Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens darstelle und homosexuelle Menschen somit nicht außerhalb der sozialistischen Gesellschaft stehen“ würden. Ihnen seien somit „alle Bürgerrechte“ zu gewährleisten. Im Sommer 1989 wurde der betreffende Paragraf 151 ganz abgeschafft. Die Deutsche Einheit von 1990 änderte zunächst nichts an der formaljuristischen Ungleichbehandlung von Homosexualität in Ost und West: Die DDR trat dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik bei, allerdings unter der Maßgabe, dass der Bundesdeutsche Paragraph 175 in den neuen Bundesländernn nicht anzuwenden sei. Offiiell bedeutete dies: In den alten Bundesländern bildeten homosexuelle Handlungen formell eine Straftat, in den neuen nicht. Vor dem Hintergrund der voranschreitenden gesellschaftlichen Öffnung hatte dieser Unterschied keine Auswirkungen auf den Alltag mehr. Dieses Kuriosum verschwand 1994, als der „Schwulenparagraph“ ersatzlos gestrichen wurde. Eine andere Frage rückte in den Mittelpunkt: Dürfen Homosexuelle eine Ehe schließen, wodurch auch ihr Lebensentwurf rechtlichen Schutz erhält?
Die Öffnung der Ehe
2000 öffneten die Niederlande die Ehe für geichgeschlechtliche Paare – in dieser Zeit gewann die Debatte hierzu auch in Deutschland an Fahrt. Die seit 1998 amtierende rot-grüne Bundesregierung schuf 2001 mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz erstmals einen rechtlichen Rahmen. Eine Gleichstellung mit heterosexuellen Ehen – etwa im Beamten- oder im Steuerrecht – scheiterte an der Zustimmung des meist unionsgeführten Bundesrats. Einzelne Unterschiede wurden in den Folgejahren unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz auf dem Klageweg ausgeräumt, doch es blieb dabei: Wo das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden hatte, blieb es bei den Unterschieden zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft. Dies hatte praktische Auswirkungen: Verstarb ein Lebenspartner, so entschied nicht der Hinterbliebene, sondern dessen Eltern über die Beisetzung ihres Sohnes – sofern die örtlche Friedhofssatzung nichts Gegenteiliges festlegte.
Fünf folgenschwere Tage im Juni 2017
Die gesellschaftliche Stimmung sprach sich jedoch längst für die Öffnung der Ehe für alle aus: In Umfragen befürworteten dies im Mai 2013 etwa 74 Prozent der befragten Bundesbürger, im Januar 2017 sogar über 83 Prozent. Nachdem mit SPD, FDP und den Bündnisgrünen alle möglichen Koalitonspartner der regierenden CDU erklärt hatten, die „Ehe für alle“ zur Bedingung für künftige Koalitionsverhandlungen zu machen, drohte das Thema, den beginnenden Bundestagswahlkampf zu überschatten. Am 26. Juni stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Aussicht, die Entscheidung darüber zur „Gewissensfrage“ ohne Fraktionszwang zu machen. Unklar blieb, ob sie dies für die kommende Legislaturperiode vorsah – der Koalitionspartner SPD, die Oppositionsparteien und die Öffentlichkeit forderten eine Abstimmung noch vor der Bundestagswahl. Die Zeit dafür war knapp: Die Legislaturperiode sollte vor der Sommerpause mit der letzten Sitzung des Bundestags am 30. Juni enden – an diesem Tag votierten 393 Parlamentarier mit Ja, 226 mit Nein. Auch 75 Unionsabgeordnete gaben grünes Licht, das Thema war in Rekordzeit vom Tisch. Am 01. Oktober 2017 trat die Neuregelung in Kraft.
Und heute?
Hetero- und homosexuelle Ehen sind heute formal gleichgestellt. Laut Lesben- und Schwulenverband gaben sich allein bis Ende 2019 etwa 70.000 homosexuelle Paare das Jawort. Doch weitere Fragen stehen aus: Wird die Co-Mutter neben der Gebärenden ebenfalls als „Mutter“ des Kindes in der Geburtsurkunde vermerkt, und werden zwei Männer, die ein Kind von einer Leihmutter im Ausland haben austragen lassen, in amtlichen Dokumenten als „Väter“ geführt? Neue Wege in der Reproduktionsmedizin und neue Familienmodelle machen es notwendig, auch hier rechtliche Sicherheit zu schaffen. Doch die Gleichbehandlung macht vor vielen Ländergrenzen weiter Halt.
Ein juristischer Flickentppich
Heiratet ein deutsch-französisches homosexuelles Paar, bestehen in den Herkunftsländern keine besonderen Hürden: Deutschland, Frankreich und viele andere EU-Staaten erkennen gleichgeschlechtliche Ehen mittlerweile als „gleichwertig“ an, und in anderen Staaten bieten Gesetze zu eingetragenen Lebenspartnerschaften weitgehenden Schutz und Anerkennung von gemeinsamen Rechten ausländischer Paare. Viele osteuropäische Staaten verweigern diese Anerkennung jedoch: Schließen etwa ein deutscher und ein rumänischer Statsbürger eine homosexuelle Ehe in der Budesrepublik, wird diese in Rumänien nicht anerkannt – der deutsche Partner besitzt lediglich ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Rumänien. Dort muss das Paar auf alle anderen Ehe-Rechte verzichten; es ist in seiner puren Existenz bestenfalls „legal“: Bukarest hat homosexuelle Handlungen erst 2001 legalisiert, um Beitrittsverandlungen mit der EU aufnehmen zu können. Nach einer Hochzeit kann ein rumänischer Eheartner seinen Familiennamen im Reisepass oder auf dem Ausweis aber nicht ändern – die rumänischen Behörden verlangen hierfür einen triftigen Grund. Eine im Ausland geschlossene Ehe zählt nicht dazu. Bei doppelten Staatsbürgerschaften kann dies zu „doppelten Identitäten“ führen: beispielsweise zum neuen deutschen Familiennamen im deutschen Pass neben dem bisherigen rumänischen Namen in den rumänischen Dokumenten.
„LGBT-ideologiefreie Zonen“
Es bestehen also weiterhin keine EU-weiten Regelungen zur übergreifenden Gleichbehandlung homosexueller Ehen. Einige Mitgliedssaaten versuchen gar, das Rad zurückzudrehen. So erklärten sich in Polen seit 2019 zahlreiche, meist im Osten des Landes gelegene Provinzen, Landkreise und Kommunen zu „LGBT-ideologiefreien Zonen“ – etwa ein Drittel der Fläche Polens. „LGBT“ für die englischen Bezeichnungen „Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender“, also „lesbisch, schwul, bisexuell und transsexuell“. Die polnischen Regional- und Kreisparlamente folgten bei ihrem Schritt keinem Referendum der Wahlberechtigten, sondern griffen in ihrem Votum lediglich die politische Stimmung in den Reihen der in Warschau regierenden nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) und der sehr präsenten katholischen Kirche auf.
In einer solchen „Zone“ befindet sich auch Poniatowa, seit 1993 Partnergemeinde von Berlin-Steglitz (seit 2001: Steglitz-Zehlendorf). Aus den Kommunalwahlen im Herbst 2019 ging die PiS auch in Poniatowa als Gewinnerin hervor; schon wenig später erklärte sich die Gemeinde ebenfalls für „LGBT-ideologiefrei“. „Seit dem Wechsel im dortigen Rathaus gab es keinen Austausch mit der Verwaltung“, erklärt Michael Karnetzki (SPD), stellvertretender Bürgermeister und Stadtrat des Bezirks. „Leider hat sich neben der Stadt Poniatowa auch der Landkreis unserer Partnerstadt dieser Initiative angeschlossen. Damit liegen unsere beiden anderen Partnergemeinden ganz in der Nähe, Kazimierz Dolny und Nałęczów, nun offiziell auch in dieser Zone, obwohl die beiden Kommunen selbst diesen Schritt nicht gegangen sind.“
Klare Position in Steglitz-Zehlendorf
In Steglitz-Zehlendorf stößt der Schritt bis heute auf klaren Protest: „Wir fordern die Stadt Poniatowa auf, den Beschluss zurückzunehmen und distanzieren uns klar von jeder Art von Diskriminierung – der Beschluss steht im Gegensatz zum verbindenden Charakter von Städtepartnerschaften“, so Karnetzki. Seit Mai 2019 versuche man im Rathaus, den Kontakt zur neuen PiS- Stadtverwaltung herzustellen und zumindest einen Austausch zu ermöglichen – erfolglos: Bis heute sei keine Reaktion eingetroffen. „Vielleicht weiß man in Poniatowa auch nicht, wie man auf unseren klaren Standpunt reagieren soll“, mutmaßt Stadtrat Karnetzki. Auch eine schriftliche Anfrage des Lokal-Reports bei der Stadtverwaltung Poniatowa blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Bei weitem nicht alle polnischen Provinzen, Kreise und Kommunen haben sich der umstrittenen Initiative angeschlossen. So hat beispielsweise Teltows Partnerstadt Żagań auf diesen Schritt verzichtet: „Viele Menschen in Polen sind entsetzt über das Vorgehen ihrer Regierung“, heißt es vonseiten des Vereins „Teltow ohne Grenzen“, der die Städtepartnerschaft betreut. Viele Menschen, die in die Arbeit mit westlichen Staaten eingebunden seien, sähen die Politik der PiS-Regierung äußerst kritisch. „Eine offizielle Stellungnahme seitens der Stadtverwaltung Żagańs hierzu liegt jedoch nicht vor.“
Und Poniatowa? „Der Beschluss grenzt Menschen bewusst aus und behandelt einige Menschen als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse“, kritisiert Markus Löw vom Berliner Aktionsbündnis gegen Homophobie die Entscheidung des Stadtrats, die Stadt zur „LGBT-ideologiefreien Zone“ zu erklären. „Allerdings wollen wir die Partnerschaft auch in kritischen Situationen aufrechterhalten und die Verbindung nicht kappen – das sollte nur das allerletzte Mittel sein.“ In Poniatowa selbst werde der Beschluss bis heute auch kritisiert: „Viele Menschen arbeiten dagegen, und vielleicht hätte die Entscheidung noch nicht mal eine Mehrheit unter den Wählern“, berichtet Löw über das Stimmungsbild vor Ort. Im Rahmen der Städtepartnerschaft könne man die Menschen unterstützen, ihnen Rückhalt geben und gegenüber dem Rathaus deutlich machen, für welche Werte Steglitz-Zehlendorf stehe. „Andere polnische Städte und Gemeinden haben den Beschluss bereits zurückgenommen – also ist das auch in Poniatowa möglich!“ Philipp Hochbaum