Wahlchaos in Berlin: Landeswahlleiterin tritt zurück
Vertauschte und zu wenige Stimmzettel, verspätete Nachlieferungen, stundenlanges Warten vor den Wahllokalen: Schon kurz nach den Wahlen wurde Kritik an der Berliner Landeswahlleiterin Petra Michaelis laut. Diese stellt nun ihr Amt zur Verfügung. Zudem mehren sich die Hinweise auf Unregelmäßigkeiten.
Nach dem teils chaotischen Wahlsonntag in Berlin hat die dortige Landeswahlleiterin Petra Michaelis ihren Rücktritt angekündigt. Sie bitte den Senat, sie „nach den Sitzungen des Landeswahlausschusses am 11. und 14. Oktober 2021 unverzüglich abzuberufen und einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu bestimmen“. Damit wolle sie die Verantwortung für die Umstände der Wahlorganisation in der Hauptstadt übernehmen. Michaelis ist seit 2010 Landeswahlleiterin.
Schon kurz nach den Wahlen am Sonntag hatte Michaelis eingeräumt, dass es bei der Organisation zu Fehlern gekommen war. So gingen in einigen Wahllokalen Wahlzettel aus oder wurden vertauscht. Vor manchen Lokalen bildeten sich Warteschlangen, sodass manche Wähler erst nach 18:00 Uhr ihre Stimmen abgeben konnten und sich die anschließende Auszählung entsprechend verzögerte. Am Ablauf der Abstimmung wurde von vielen Seiten Kritik geübt, darunter auch von Wahlhelfern. So waren die Landeswahlleitung telefonisch schwer erreichbar und die Raumzuteilung in den Wahlgebäuden – etwa Schulen – lange unklar, wodurch sich die logistische Organisation vor Ort verspätete.
Michaelis will nun eine „Bestandsaufnahme der relevanten Wahlfehler“ vornehmen. Auf viele offene Fragen – etwa zur Anzahl der vertauschten Stimmzettel – konnte sie zunächst keine Angaben machen. Am Sonntag waren in Berlin neben dem Bundestag auch das Abgeordnetenhaus und die zwölf Bezirksverordnetenversammlungen gewählt worden. Zudem wurde ein Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienkonzerne abgehalten. Als weiteres Großereignis in der Hauptstadt gab es den Berlin-Marathon, der ebenfalls als möglicher Grund für den holprigen Wahlverlauf angeführt wird.
Kuriose Unregelmäßigkeiten führen zu „Rekordbeteiligung“
In mindestens 16 Wahlbezirken (Brief- und Urnenwahlbezirke zusammengerechnet) könnte es nach Berechnungen des „Tagesspiegels“ bei den Wahlen mehr abgegebene Stimmen als Wahlberechtigte gegeben haben. Der Bericht nennt drei Beispiele: Den Reinickendorfer Wahlbezirk 124J (Urnenwahlbezirk 417 + (Brief-)Wahlbezirk 4J), der beim Volksentscheid augenscheinlich eine Rekordbeteiligung aufwies: Hier gab es insgesamt 1.382 Wahlberechtigte, doch es wurden 2.146 Stimmen abgegeben – die Wahlbeteiligung betrug demnach 150 Prozent. In Tempelhof-Schöneberg kommt der Briefwahlbezirk 077I sowohl bei der Zweitstimme zur Wahl des Abgeordnetenhauses als auch beim Volksentscheid auf 126 Prozent Wahlbeteiligung: 1.120 Personen waren wahlberechtigt, doch es wurden 1.414 Wähler verzeichnet. Unterdessen verzeichnete der Neuköllner Briefwahlbezirk 083P beim Volksentscheid 2.147 Wahlberechtigte, doch 2.170 Wähler gaben ihre Stimme ab – dies sind immer noch über 100 Prozent Wahlbeteiligung.
Grundlage dieser Berechnungen ist das vorläufige amtliche Endergebnis, das am Morgen nach der Wahl veröffentlicht wurde. Zwar würden 16 kombinierte Brief- und Urnenwahlbezirke statistisch gesehen das Wahlergebnis kaum verändern, da die betroffenen Stimmbezirke nur jeweils zwischen 1.000 und 2.500 Wahlberechtigte umfassen. Dennoch könnte dies auf eventuelle Fehler hindeuten. Außerdem ist es möglich, dass in den Listen der Wahlleiterin nur falsch definiert wurde, was „abgegebene Stimmen“ bedeuten, dass die Stimmen woanders eingerechnet wurden. Oder dass die Briefwahlbezirke nicht zu den Urnenwahlbezirken passen, denen sie in den Daten der Landeswahlleiterin aber explizit zugeordnet sind.
Erste Neuauszählungen beschlossen
Unterdessen habe der Bezirk Tempelhof-Schöneberg bereits bekanntgegeben, in drei Marienfelder Wahllokalen neu öffentlich auszuzählen, berichtet der Tagesspiegel weiter. Der Briefwahlbezirk, dem sie zuzuordnen seien, weise mit 159 Prozent Beteiligung bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus einen Rekord auf; beim Volksentscheid betrage diese 115 Prozent. Davon stünden mit 8,9 Prozent ungewöhnlich viele Stimmen im Verdacht, ungültig zu sein. Auch im Wahlbezirk Pankow 3 wird neu ausgezählt – hier aber wegen des äußerst knappen Ergebnisses. In seinem Stimmbezirk unterlag Kultursenator Klaus Lederer (Linke) seiner Konkurrentin Oda Hassepaß (Grüne) um lediglich 30 Stimmen. ph
Symbolbild: Redaktion