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Friedensmission am Gartenzaun

Überwuchernde Äste, lautes Musizieren, krähende Hähne: Rund 9.000 dieser Fälle landen pro Jahr vor bundesdeutschen Gerichten. Ehenamtliche Schlichter arbeiten daran, dass es gar nicht erst so weit kommt und appellieren: Miteinander reden, bevor es zu spät ist.

Deutschland im Herbst 1999: Die Musik- und Fernsehwelt blickt verwundert auf einen „Maschen-Draht-Zaun“. Wochenlang setzt sich die Parodie des TV-Entertainers Stefan Raab an der Spitze der Charts fest und macht die Rentnerin Regina Zindler aus Auerbach im Vogtland schlagartig bekannt. Mit markantem Akzent hatte sie sich zuvor bei TV-Richterin Barbara Salesch über den Knallerbsenstrauch ihres Nachbarn beklagt, dessen wildes Wachstum ihren Maschendrahtzaun beschädige.

Richterin Salesch behandelte den damals wohl berühmtesten Nachbarschaftsstreit vor einem Schiedsgericht; im nächsten Jahr wurden echte durch fiktive Fälle ersetzt. Doch mussten Maschendrahtzaun und Knallerbsenstrauch tatsächlich vor einem Gericht landen? „In der Regel müssen sich die Streitparteien erst um eine Schlichtung bemühen, bevor sie die Angelegenheit zum Gericht bringen“, erklärt Streitschlichter Wolfgang Wischnewski aus Teltow. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand betreut der Ehrenamtler einen von zwei Schiedsbezirken in der 27.000-Einwohner-Stadt. „In der Regel ist eine Schiedsperson, die für fünf Jahre von der Stadtvertreterversammlung gewählt wird, für 20.000 Menschen zuständig“, erklärt Teltows zweite Schiedsperson Christa Zwilling. Mit jeder Schlichtung würden die Gerichte entlastet und man komme schnell zu einer Lösung, die keine Verlierer kennt. „Es wird bei einer Schlichtung nicht gerichtet, sondern vermittelt.“

Lieber miteinander reden

Pro Jahr werden in jedem Teltower Schiedsbezirk etwa zehn Konflikte moderiert – meist zwischen Nachbarn. „Bei den allermeisten Streitigkeiten liegt die Ursache irgendwo in der Vergangenheit“, erklärt Schiedsmann Wischnewski. Das Laub vom Baum im Nachbargarten oder der bellende Hund störten also nicht plötzlich und über Nacht, sondern es hat sich auch viel Frust angestaut. „Oft würde man bei solchen Konflikten lieber sagen: ,Geht doch einfach mal ein Bier trinken und dann klärt sich einiges´“, wünscht sich Schiedsfrau Zwilling. Miteinander zu reden könne helfen, den Konflikt durch gegenseitiges Verstehen zu deeskalieren und die eigentliche Ursache des Streits ausfindig zu machen.

Auch in Kleinmachnow entladen sich die Konflikte meist unter Nachbarn. „Pro Jahr haben wir etwa acht Fälle“, berichtet Schiedsfrau Gisela Stahn, die sich mit Freude und Engagement in einem der beiden örtlichen Schiedsbezirke um einvernehmliche Lösungen bemüht. Oft geht es dabei um unklare Grenzziehungen: „Zu DDR-Zeiten waren die genauen Grenzziehungen zwischen den Garten meist nicht so wichtig, aber das hat sich geändert. Wegen der hohen Grundstückspreise legen viele Bürger inzwischen großen Wert auf die genauen Abmessungen“, ergänzt Christa Barth, Kleinmachnows zweite Schiedsfrau. „Es ist wichtig, dass die Betroffenen frühzeitig anfangen, miteinander zu reden. Das könnte vielen Problemen den Wind aus den Segeln nehmen.“

Geht es nach den Schlichterinnen aus Teltow und Kleinmachnow, hätten also auch Regina Zindler und der Besitzer des „feindlichen“ Knallerbsenstrauchs nicht zwangsläufig auf der Richterbank Platz nehmen müssen. „Fangt rechtzeitig an, miteinander zu reden und schaut rechtzeitig nach, was erlaubt und was nicht“, appelliert auch Wischnewski an Streithähne.

Regeln für Federvieh und Flöten

Apropos Hähne: Wer aus der Großstadt in kleinere Orte zieht, muss sich auf eine entsprechende Geräuschkulisse einstellen. Zwar gilt der Emissionsschutz auch für Hühner, aber: „Auch Hühner haben in unserer Stadt eine gewisse Daseinsberechtigung“, stellt Schlichter Wischnewski klar. Allerdings bestehe auch hier ein Ermessensspielraum, und Hähnen kann eine Krähpause verordnet werden. So entschied erst im Oktober 2022 das Verwaltungsgericht in Frankfurt (Oder) in einem Streitfall, dass ein Hahn in der Kleinstadt Müncheberg „schallisolierend“ unterzubringen sei. „Es gibt in vielen Fällen kein Schwarz-Weiß“, betont Schiedsfrau Zwilling.

Ebenso wenig wie das Krähen lässt sich auch das Musizieren in der eigenen Wohnung verbieten. Allerdings legt jedes Bundesland bestimmte Ruhezeiten fest, innerhalb derer Blockflöte, Geige und Trompete im Schrank bleiben müssen und der Klavierdeckel zu bleibt: So ist in Brandenburg während der Nachtruhe zwischen 22:00 und 06:00 Uhr jede Ruhestörung durch Musik untersagt. Während der erweiterten Ruhezeiten von 22:00 bis 08:00 Uhr und 13:00 und 15:00 Uhr ist nur Zimmerlautstärke erlaubt, was das Üben faktisch unter eine besondere Rücksichtnahme gegenüber den Nachbarn stellt. Dabei gilt der Sonnabend als Werktag, doch an Sonn- und Feiertagen ist das Musizieren offiziell tabu. Allerdings sind kompromissbereite Nachbarn oft zu Ausnahmen bereit, etwa beim weihnachtlichen Musizieren.

Allerdings lassen sich mit anderen Hausbewohnern möglicherweise individuelle Regelungen finden, aber generell gilt: Mit der Unterzeichnung des Mietvertrags akzeptieren die Bewohner die in der Hausordnung festgelegten Ruhezeiten. Zudem können Städte und Kommunen abweichende Zeiten festlegen. Der Eigentümerverband nennt folgenden Richtwert: Tägliches Musizieren in der eigenen Wohnung und außerhalb der Ruhezeiten sollte sich auf zwei Stunden beschränken.

Beharren als Problem

Wie in vielen anderen Orten verhärten sich auch in Teltow die Fronten meist zwischen Blumenbeet und Hecke, berichten die Schlichter. Doch auch im Grünen gelten Ruhezeiten. In Wohn- und Kleinsiedlungsgebieten oder in der Nähe von Krankenhäusern müssen Rasenmäher, Heckenschere oder Kettensägen an Arbeitstagen sogar ab 20:00 Uhr zurück in den Schuppen und dürfen erst ab 07:00 Uhr wieder eingesetzt werden. An Sonn- und Feiertagen müssen sie sogar eine ganztägige Pause einlegen. „Die meisten Menschen wissen allerdings, was erlaubt ist und was eben nicht“, ist sich Schlichter Wischnewski sicher. So lasse sich etwa dem Nachbarn bei Geruchsbelästigung das Grillen nicht verbieten. „Abgesehen von ausgerufener Waldbrandgefahr kann man im Garten auch öfter grillen.“ Dabei müsse jedoch Rauch- und Geruchsbelästigung vermieden werden.

„Generell sind die Menschen heute konfrontativer als noch vor einigen Jahren“, stellt Schlichterin Stahn fest. „Oft sitzt schon bei einer ersten Aussprache ein Anwalt mit am Tisch, obwohl sich ein ,normaler´ Nachbarschaftsstreit für ihn finanziell kaum lohnt.“ Oft sei der Rechtsbeistand dann aber überrascht, wenn das Eis taue und die Konfliktparteien miteinander ins Gespräch kommen.

Hinzu kommt: Oft liegt einem Konflikt auch ein Generationenproblem zu Grunde, und manchmal ist die Auseinandersetzung schon seit Langem festgefahren. Mit der Schlichtung bietet sich jedoch ein Ausweg: Jeder – auch die Schlichter – ist zur Verschwiegenheit verpflichtet, und die Konfliktparteien können eigene Lösungsvorschläge unterbreiten. „Es geht nicht darum, zu urteilen. Die Schlichtung hat einen ganz anderen Ansatz: Es sollen keine Ratschläge erteilt werden. Als neutrale Schiedspersonen wollen wir uns in die Menschen hineinversetzen und den Fokus vom Streit weg auf eine nachbarschaftliche Zukunft richten“, erklärt Teltows Schiedsfrau Christa Zwilling.

Für die Streitparteien hat die Schlichtung gegenüber einem aufwändigen und möglicherweise teuren Gerichtsverfahren weitere Vorteile: „Die Schiedsperson und die Konfliktpartner sollen sich auf Augenhöhe austauschen. Eine Lösung, der alle Beteiligten zustimmen, bleibt rechtlich 30 Jahre lang gültig“, unterstreicht Kleinmachnows Schlichterin, die wie alle Schiedspersonen dem Amtsgericht untersteht. „Und für ein Schlichtungsverfahren wird nur eine Gebühr von 25 Euro fällig. Dazu kommen mögliche Materialausgaben, sodass wir bei einem üblichen Vorschuss von 50 Euro im Allgemeinen die Kosten decken können.“

Hecken und Bäume als Streitfall

Hätte sich Regina Zindler den Gang zu Richterin Salesch nun von vornherein sparen können? Zumindest in Brandenburg wäre dies schwierig geworden, denn hier hält das Nachbarrechtsgesetz fest: Mit Anpflanzungen von über zwei Metern Höhe muss ein Abstand vom Nachbargrundstück eingehalten werden, dass „(…) für jeden Teil der Anpflanzung der Abstand [zur Grundstücksgrenze] mindestens ein Drittel seiner Höhe über dem Erdboden beträgt.“ Erst ab zwei Metern Höhe hätte sich ein Gericht mit dem fraglichen Knallerbsenstrauch befassen müssen.

Und was ist nun mit dem Zweig oder der Baumkrone, die über die Grundstücksgrenze ragt und dem Nachbarn zuviel Schatten, Laub oder Fallobst beschert? Auch hier gibt es weder Schwarz noch Weiß, betonen beide Schlichter. Nach einer in Brandenburg meist zweijährigen Einspruchsfrist ab Pflanzung sei es schwer, gegen einen Baum in der Nähe und seine überhängenden Äste vorzugehen. „In diesem Fall müssen mich überhängende Zweige in der Nutzung meines eigenen Grundstücks stark beeinträchtigen“, unterstreicht Schiedsfrau Zwilling. Hinzu kommt der Naturschutz: So seien etwa Walnussbäume geschützt und könnten nicht einfach zurechtgestutzt werden. „Doch wenn der Überwuchs die Fassade meines Hauses berührt und möglicherweise durch Kratzen beschädigt, dann sieht alles wieder ganz anders aus.“

Doch am besten, und das heben alle Schlichter hervor, sei die gütliche Einigung, und es besteht Hoffnung: Nur bei höchstens einem Drittel aller Fälle seien die Fronten am Gartenzaun oder vor der gemeinsamen Zufahrt derart verhärtet, dass der Konflikt vor Gericht ausgetragen werden muss. Und dennoch überwiegt auch bei den Kleinmachnower Schiedsfrauen die Freude am Friedenstiften: „Sicherlich, in manchen Fällen denkt man sich seinen Teil, aber insgesamt macht diese Arbeit unglaublich viel Spaß. Und die Lösung eines Konflikts gehört dabei zu den vielen schönen Momenten!“ ph

Titelbild: JackF, Copyright Iakov Filimonov