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„Wir wollen den Kindern eine schöne Schulzeit bieten“

Die Teltower Hans-Christian-Andersen-Schule begleitet Kinder und Jugendliche mit besonderen Anforderungen durch ihre Schulzeit. Jedes Kind hat seine Bedürfnisse, lernt und entwickelt sich anders. Lehrer und Schulleitung begleiten ihre Schüler auf dem Weg in ein möglichst selbstbestimmtes Leben.

„Was bekommen wir alles von der Kuh?“, fragt Marcus Perrakis seine Schüler. Auf dem Bildschirm hinter ihm erwacht ein Bauernhof zum Leben, gespannt folgt die kleine Klasse dem Sachkundeunterricht an der Teltower Hans-Christian-Andersen-Schule. Der 8-jährige Andrej (Name geändert) aus der Ukraine zögert noch. Bereits in der Ukraine hatte er eine Förderschule besucht, nun lernt er in der Förderschule des Diakonissenhauses Berlin Teltow Lehnin seine ersten deutschen Wörter. „Ich kann helfen“, rufen gleich zwei Klassenkameradinnen. Fast springen sie dabei von ihren Stühlen.

„Milch“, sagt Andrej schließlich etwas schüchtern. „Genau!“, ruft eine seiner Mitschülerinnen in die kleine Klasse. Kurz darauf zieht er auf dem riesigen Bildschirm hinter ihm ein Glas Milch in die Mitte – erst zögernd, doch bald hat das Glas seinen richtigen Platz im Bild gefunden. Wie in allen anderen Klassen der evangelischen Ganztagsschule mit dem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ lernen heute auch in Perrakis’ Sachkundeunterricht neun Schüler gemeinsam. Jede Klasse wird stets von zwei Sonderpädagogen geleitet.

Auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit

Rund 120 Schüler lernen auf dem Teltower Stammgelände des Diakonissenhauses. „Wir wollen, dass sie ihren Alltag später so gut wie möglich allein bewältigen können“, erklärt Schulleiterin Solveig Großmann gegenüber dem lokal.report während der Pause. „Der brandenburgische Rahmenlehrplan für den sonderpä-dagogischen Förderschwerpunkt ,Geistige Entwicklung‘ passt den Unterricht an den Entwicklungsstand der Kinder an und gibt unseren Lehrkräften die nötige Orientierung bei der Erstellung der Förderpläne.“

Die Sachkundestunde vergeht wie im Flug. „Eier!“, „Schnabel!“, „Katze!“, dringt es inzwischen aus dem Klassenraum. „Hier funktioniert das Lernen anders“, fährt Großmann fort. Viele Kinder kommen mit Lese- oder Sprachproblemen in die Klasse, hinzu kommen Lern- oder Konzentrationsschwierigkeiten. „Einige haben geistige Beeinträchtigungen oder leiden unter den Spätfolgen einer Erkrankung.“ Die Kinder und Jugendlichen lernen daher auch, Assoziationen zu anderen Themen herzustellen. „Wir helfen ihnen, Eindrücke zu verarbeiten und eigene Ideen und Gedanken auszudrücken“, erklärt die Schulleiterin das Lehren und Lernen.

Wörter erkennen, Neues verstehen, Gefühle äußern: Dies funktioniert in allen Klassen anders, jeder Schüler hat seine eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten. „Wir sprechen hier von der sogenannten Binnendifferenzierung“, beschreibt ­Perrakis die ganz besondere Herausforderung. Jedes Kind bekommt einen Förderplan, abgestimmt mit den Eltern und auf der Grundlage des Rahmenlehrplans.

Die Andersen-Schule will den unterschiedlichen Ansprüchen ihrer Schüler gerecht werden, die Lehrkräfte gestalten ihren Unterricht möglichst lebensnah. „Wir erziehen die Schülerinnen und Schüler zur größtmöglichen Selbstbestimmtheit“, unterstreicht Schulleiterin ­Großmann. Auch hier lernen die Kinder Mathematik und Deutsch. „Das Niveau unterscheidet sich aber vom Lehrpensum, wie es an anderen Grundschulen üblich ist.“ Die Lehrer vermitteln außerdem realistische, praktische Vorstellungen vom ­Alltag: Was ist „viel“, was bedeutet „wenig“, und wozu benutzt man Geld? „Manchmal machen wir keinen normalen Mathematikunterricht im Klassenraum, besonders wenn die Konzentration nachlässt. Stattdessen gehen wir dann zusammen einkaufen und üben das ganz praktisch“, erzählt Perrakis aus seinem Alltag als Lehrer.

Die Schüler verbringen ihre Zeit in kleinen Gruppen gemeinsam. Bild: Redaktion

Keine Angst vor Kosten

Doch wer entscheidet, ob ein Kind an einer Förderschule unterrichtet wird? „Bei der Anmeldung zur Grundschule wird stets der Wissens- und Entwicklungsstand eines Kindes eingeschätzt“, erklärt ­Großmann. „Oft wird man ja auch bereits im Kindergarten auf mögliche Defizite aufmerksam und rechnet mit einer anderen Schullaufbahn.“ Um an der Förderschule aufgenommen zu werden, bedarf es eines Feststellungsbescheides über den notwendigen Förderschwerpunkt. Diesen erteilt das Schulamt. „Für den Besuch einer Förderschule muss übrigens kein Schulgeld gezahlt werden“, räumt die Schulleiterin außerdem mit einem verbreiteten Irrtum auf. Auch die Fahrdienste zur Schule und zurück nach Hause würden in der Regel vom Schulamt gestellt.

Die Fahrt führt die Schüler zu einem Backsteinbau, der einst als Krankenhaus diente und mittlerweile liebevoll zu einer Schule umgestaltet wurde. Heute erinnert schon lange nichts mehr an Kittel, Röntgen und Arzneigeruch – stattdessen hängen bunte Poster und kleine Projektarbeiten an den farbigen Wänden. Aus den Klassenzimmern dringt vertrauter Unterrichtslärm. Hier lernen Schüler der Primar- und Sekundarstufe und die Klassen der beruflichen Ausbildung. „Unsere Schülerinnen und Schüler kommen übrigens nicht nur aus Teltow, sondern auch aus dem gesamten Landkreis Potsdam-Mittelmark, aus ­Berlin oder aus dem Nachbarkreis Teltow-Fläming“, bietet Schulleiterin Großmann einen Überblick über die Wohnorte ihrer Schützlinge.

Digitales und klassisches Material im Zusammenspiel

Unterdessen gehören elektronische Lehrmittel wie interaktive Bildschirme in den Klassenzimmern oder Tablets selbstverständlich zum Unterricht. Das ist jedoch keine Absage an Stift, Blatt und Schere, im Gegenteil: „Wenn ein Schüler lernt, auch diese Dinge zu benutzen, dann trainiert er seine Motorik. Und das macht ihn wiederum im Leben eigenständiger“, erklärt Sonderpädagoge Perrakis den ­Ansatz, auch „klassisches“ Unterrichtsmaterial einzusetzen.

Für einige Schüler sind die Geräte allerdings unverzichtbar. Moritz (Name geändert) verfolgt den Unterricht gebannt, schaut jedoch auf einen Bildschirm vor sich, der ihm mehrere Begriffe als Antwort vorschlägt. Ein roter Punkt flitzt über den sogenannten „Talker“: Mit seinen Augen steuert der Zehnjährige das Gerät, das mittels Kamera seine Augenbewegungen erkennt. „Hund“, tönt es schließlich aus dem Apparat. Die Klasse widmet sich noch immer mit Begeisterung der Tierwelt. ­„Moritz war nicht immer auf das Gerät angewiesen“, erklärt Perrakis wenig später. „Als er zu uns kam, konnte er trotz seiner fortschreitenden Beeinträchtigung noch sprechen und laufen.“ Mittlerweile sitzt er im Rollstuhl, das Sprechen fällt ihm schwer. „Wir wissen nicht, ob er das Ende seiner Schulzeit erleben wird“, erzählt der Lehrer nachdenklich. „Als Sonderpädagoge habe ich jedoch gelernt, auch mit traurigen Geschichten umzugehen, auch wenn diese an unserer Schule glücklicherweise sehr, sehr selten vorkommen. Doch man vergisst oft: Die meisten Kinder kennen es nicht anders, sie sind glücklich, wie sie sind – und wir wollen ihnen eine schöne, hilfreiche Zeit an unserer Schule bieten und ihnen den Weg in eine größtmögliche Unabhängigkeit zeigen.“ ph

Titelbild: Evangelisches Diakonissenhaus Berlin Teltow Lehnin