Leben im Ausnahmezustand
Von Christian Zache
In Kiew kämpft Kinderarzt Oleg um das Leben verletzter Kinder. Im Krankenhaus muss er schwere Entscheidungen treffen, zu Hause will er Vater sein. Schon vor dem Krieg war dies schwer, doch das Schicksal kriegsverletzter Kinder bringt ihn an seine Grenzen.
Nennen wir ihn Oleg. Oleg schwärmt von seiner Reise nach München vor einigen Jahren. Er schwärmt auch von den deutschen Kollegen, mit denen er bei einer Hospitation zusammengearbeitet hat. Oleg hat zwei Jungs, auf die er sehr stolz ist und auf seine Frau Irina, seine Jugendliebe und Mutter der beiden 6- und 9-jährigen Buben. Zu Hause spricht er nicht viel über seine Arbeit, denn er möchte seine Familie nicht belasten. Es fällt ihm aber oft schwer, wenn er denn mal zu Hause ist, alles, was er in den letzten Monaten mit ansehen, mit zu entscheiden und durchführen musste, zu verarbeiten. Seine Gedanken und Gefühle zu teilen, ein fast unmögliches Unterfangen.
Oleg ist Kinderarzt in einem Kiewer Krankenhaus, genauer gesagt, er ist Chirurg, auf Kinder und Jugendliche spezialisiert. Vor dem Krieg war der Beruf schon manchmal sehr schwer. Kinder, die durch Unfälle auf seine Station kamen oder durch Krankheiten operiert werden mussten, sind für jeden Arzt, egal wo auf dieser Welt, immer eine besondere seelische Herausforderung. Nun aber muss Oleg immer öfter auch über das Schicksal von Kindern entscheiden, die durch den Krieg verletzt werden. Durch herabfallende Trümmerteile der Häuser, in denen sie lebten. Durch Splitter von Bomben, Drohnen und Raketen. Besonders wenn Kinder mit Schuss- oder Minenwunden eingeliefert werden, geht es oft um schwerwiegende Entscheidungen, die innerhalb kürzester Zeit getroffen werden müssen. Oleg musste im vergangenen Jahr auch Amputationen durchführen oder Kinder, die ihren schweren Verletzungen erlagen, sterben sehen. Kinder, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten.
All diese Eindrücke nimmt Oleg mit nach Hause und versucht dann, abzuschalten, denn er ist auch Vater und seine Jungs wollen das, was alle Kinder wollen. Dass Papa mit ihnen spielt, ihnen eine Gutenachtgeschichte vorliest, mit ihnen herumtobt….
Oleg hat mir seine Kinderstation gezeigt, er hat mir Einblick in sein privates Inneres gegeben. Er fährt gerne Kajak, aber dazu ist jetzt nicht die Zeit. Ich habe große Hochachtung vor Oleg von Vater zu Vater, der das Glück hat, nicht in diesem Ausnahmezustand zu leben. Eines Tages fahren wir zusammen Boot mit unseren Kindern, haben wir uns fest vorgenommen.
Bilder: Christan Zache