Hannelore Kraft verliert und tritt zurück
Die Landtagswahl am 14. Mai im mit fast 18 Millionen Einwohnern lebenden größten deutschen Bundesland, Nordrhein-Westfalen, war eine Schlagwetterexplosion. Im Bundesland NRW, das einst für Kohle und Stahl bekannt war, ist Ministerpräsidentin Hannelore Kraft abgewählt worden. Der Bergmannsgruß „Glück Auf“ ging nicht Richtung Kabinett Hannelore Kraft. Die SPD büßte fast 8 Prozent ein und kam in ihrem Stammland auf nur noch 31,2 Prozent der Stimmen. Hannelore Kraft trat noch am Wahlabend von ihren Ämtern als SPD-Landesvorsitzende und Stellvertretende Bundesparteivorsitzende zurück. Der Koalitionspartner im Düsseldorfer Landtag, die GRÜNEN, verlor 4,9 Prozent und dümpelt nun bei 6,4 Prozent vor sich hin. Die Landesregierung hat sage und schreibe 12,8 Prozent der Stimmen verloren. Hannelore Kraft, die seit 2010 im Amt ist, übernahm die Verantwortung für das schlechteste Wahlergebnis in NRW seit 1947. Herausforderer Armin Laschet von der CDU gewann 6,7 Prozent hinzu und erreichte 33 Prozent. Damit sind die Christdemokraten stärkste Fraktion im Düsseldorfer Landtag geworden. Die FDP gewann 4 Prozent und kommt auf 12,6 Prozent. Die LINKE verdoppelte ihr Ergebnis von der Landtagswahl 2012 verglichen mit 2017 sogar, aber die erreichten 4,9 Prozent waren nicht genug um in den Düsseldorfer Landtag einziehen zu können. Erstmals ist die AfD im Landesparlament vertreten. Sie kam auf 7,4 Prozent. Ins Bodenlose stürzten die PIRATEN ab. Sie verloren 6,8 Prozent und kamen gerade einmal noch auf 1 Prozent der Stimmen. Das bedeutet, die Fraktion der PIRATEN muss ihre Sitze im Düsseldorfer Landtag räumen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 66 Prozent. Bei der Landtagswahl 2012 waren es 59,6 Prozent. Der Landtag in NRW kennt eine Besonderheit, die in ganz Deutschland einmalig ist: Es gibt viel mehr Wahlkreise als Listenplätze. 128 Abgeordnete eroberten ein Landtagsmandat, 71 Parlamentarier zogen über die Reserveliste ins Parlament ein. Eine weitere Besonderheit ist, zum Beispiel im Gegensatz zum Bundesland Berlin: Ministerpräsident in Düsseldorf kann nur werden, wer ein Landtagsmandat im Düsseldorfer Landtag innehat. Armin Laschet gewann seinen Wahlkreis in Aachen direkt mit knapp 400 Stimmen Vorsprung vor der SPD. Laschet steht zwar auf Platz eins der Landesliste, aber es kann durchaus sein, das die CDU nicht einen einzigen Abgeordneten via Reserveliste in den Landtag schicken kann, da sie sehr viele Wahlkreise gewonnen hat. Das amtliche Endergebnis wird nächste Tage mitgeteilt werden vom Landeswahlleiter. Die Union stellt voraussichtlich im neuen Landtag 72 Sitze, die SPD 69, die Liberalen 28, die AfD 16 und die GRÜNEN 14. Bei insgesamt 199 Sitzen sind 100 die absolute Mehrheit. CDU und FDP kommen auf genau diese Stimmenzahl. Armin Laschet wird in den nächsten Tagen mit den Koalitionsverhandlungen beginnen. Er teilte mit, dass er „mit allen demokratischen Parteien Verhandlungen aufnehmen wird.“ Im Klartext heißt das, die AfD ist für den CDU-Politiker Laschet keine Option. Die in diesem Jahr stattgefundenen Landtagswahlen an der Saar, in Schleswig-Holstein und jetzt in NRW waren für die SPD kein Anlass zu Jubelsprüngen. Vom „Schulz-Effekt“ war nichts zu spüren. Das bedeutet aber keineswegs, dass die CDU die im September stattfindende Bundestagswahl schon als gewonnen verbuchen kann. Das sieht auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber so! Am Sonntagabend sagte er im Berliner Konrad-Adenauer-Haus der CDU: „Heute freuen wir uns. Heute feiern wir. Aber schon morgen geht es wieder an die Arbeit mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst.“ Aus NRW stammt die Nummer 2 im Staate, der Bundestagspräsident. Prof. Dr. Norbert Lammert, der in Bochum seinen Wahlkreis hat, sprach im Konrad-Adenauer-Haus im Gespräch mit dem Teltower Stadtblatt-Verlag von „einem sehr erfreulichen Tag für die Union.“ Der Bundestagsabgeordnete Heinrich Zertik aus dem Kreis Lippe erklärte im Pressegespräch: „Armin Laschet und sein Team haben großartiges geleistet. Man zog von Haustür zur Haustür und hat den Einwohnerinnen und Einwohnern gezeigt, die CDU ist für Euch da. Das kam glaubhaft rüber und ich sehe darin den Erfolg meiner Partei. Armin Laschet wird Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen werden, genauso wie Daniel Günther in Kiel Ministerpräsident werden wird. Die CDU hat in kürzester Zeit in diesem Jahr zwei Ministerpräsidenten der SPD entthront. Wann hat es so etwas zuletzt gegeben?“ Dirk Steffel, Vorsitzender der CDU Tegel und Bezirksverordneter in der BVV Reinickendorf, betonte: „Herr Laschet war kürzlich bei den Tegeler Gesprächen zu Gast. Da war er aber noch nicht Ministerpräsident. Natürlich werde ich mich jetzt darum bemühen, Herrn Laschet nochmals und schnellstens zu den Tegeler Gesprächen einzuladen. Diesmal wird dann der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen bei uns in Tegel zu Gast sein.“ Thomas Seerig gehört dem Berliner Abgeordnetenhaus an. Der FDP-Parlamentarier aus Steglitz ist auch Mitglied des Landesvorstandes seiner Partei. Thomas Seerig erklärte gegenüber dem Teltower Stadtblatt-Verlag: „Der Wahlerfolg der Freien Demokraten in NRW zeigt, dass die Menschen eine optimistische und innovative Politik erwarten, die die derzeitigen Regierungsparteien nicht bieten. Die FDP hat die Zeit seit der Bundestagswahl genutzt, um Kernkompetenzen zu stärken und Profil in neuen Politikbereichen zu bekommen. Das haben die Wähler an Rhein und Ruhr nun belohnt. Das macht Mut für die Bundestagswahl.“
Als journalistisches Fazit kann man auch festhalten, die Leute an Rhein und Ruhr, egal welcher demokratischen Strömung sie Nahe stehen, ticken ein bisschen anders als in der Bundeshauptstadt Berlin. Hannelore Kraft, man muss sie und ihre Leistungen ja nicht besonders mögen, zeigte am Wahlabend Größe! Sie trat ohne Wenn und Aber von ihren Parteiämtern zurück. Sie allein übernahm für das Desaster ihrer Partei und der von ihr geführten Landesregierung die Verantwortung. Da schob die Noch-Landesmutter kein böses Wort in Richtung auf Kanzlerkandidat Martin Schulz. Der Kanzlerkandidat, das darf man auch mal erwähnen, stammt aus Würselen. Würselen liegt bei Armin Laschet „umme Eck“, wie man dort zu sagen pflegt. Es gab keinen Wählerbonus für Kraft wegen Würselen. Daran sei auch erinnert: In Berlin kam der Amtsinhaber Michael Müller bei den Wahlen 2016 gerade noch auf 21,6 Prozent, nachdem seine Partei 7 Prozent verloren hatte. Wie bekannt, in Berlin trat der Regierungschef nicht vom Amt zurück. Wie tief der Stachel im politischen Fleisch sitzen muss bei Hannelore Kraft und ihren Genossinnen und Genossen, kann man nachempfinden, wenn man einige Ergebnisse in NRW genau unter die Lupe nimmt. In zwei Dortmunder Wahlkreisen verlor die SPD mehr als 10 Prozent und kommt dort gerade noch auf 36 Prozent der abgegebenen Stimmen. Zu Zeiten eines SPD-Bundesvorsitzenden Willy Brandt waren es um 60 und mehr Prozent. In der Landeshauptstadt Düsseldorf verlor die SPD alle vier Wahlkreise an die CDU. In der größten Stadt des Landes, der Millionenstadt Köln mit sieben Landtagswahlkreisen, verlor die SPD drei, die alle an die CDU gingen. Stammland und Herzkammer der Partei, so sprach man einst über die SPD in NRW. Das war aber zu Zeiten von Heinz Kühn, Johannes Rau, Willy Brandt und Herbert Wehner. Für manch jungen Sozialdemokraten wohl eine Ewigkeit her. Die SPD in NRW hat nicht nur eine Landtagswahl verloren, sie muss sich und die Fraktion neu aufstellen. Auch darin zeigte die „Landesmutter“ Hannelore Kraft, was Parlamentarismus für sie bedeutet: Für Ämter in der neuen Fraktion steht sie, die Wahlverliererin, nicht zur Verfügung. Wenn schon – denn schon! Der Neuaufbau von Fraktion und Landespartei soll in den Händen von Sozialdemokraten liegen, die spätestens 2022 Ministerpräsident Armin Laschet ablösen wollen. Es gibt ja den Spruch: „Nach der Wahl ist auch immer vor der Wahl.“
Foto: Heinrich Zertik, MdB und Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert (re.)
Text/Foto: VTN