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Zeitzeugin auf Schienen – Die Geschichte der Linie 96

1841 wurde die Berlin-Anhaltische Eisenbahn in Betrieb genommen und brauste in 2,5 Kilometer Entfernung an ­Teltow vorbei. Der Ort war einfach zu unbedeutend für ­einen Bahnhof – trotz der damals schon berühmten ­Teltower ­Rübchen. Und das blieb noch weitere 60 Jahre so.

Aller Anfang ist schwer

Nicht so in der Gemeinde Groß-Lichterfelde, die bereits 1868 einen Bahnhof ­bekam. Da war Privatinitiative gefragt! Vermögende Teltower, etwa der Besitzer des Gutes Seehof Max Sabersky und der Arzt Albert Stryck, gründeten eine Aktiengesellschaft und beauftragten eine Dampfstraßenbahn von Teltow zum Bahnhof Groß-Lichterfelde, von wo aus man bequem nach Berlin fahren konnte.

Voller Zuversicht schrieb die Fachzeitschrift „Die Straßenbahn“ am 18. April 1888: „In ein paar Wochen fahren wir nicht per Omnibusbahn, sondern glatt und fein mit der Dampfstraßenbahn.“ (Quelle: Berliner Verkehrsblätter 11/91)

Allerdings wurden die Wagen nicht rechtzeitig geliefert, sodass Lokomotive und Waggons von dem Anhalter Eisenbahn-Betriebsamt ausgeliehen werden mussten. Leider waren diese zu schwer, sodass sich die Schienen verbogen und der Zug gleich hinter der ersten Kurve entgleiste.

Letztlich konnte die Bahn am 01. Juli 1888 dem Betrieb übergeben werden. Dazu schrieb das „Deutsche Tageblatt“: „Gestern ist die Dampfstraßenbahn zwischen Groß-Lichterfelde und Teltow, welche seinerzeit unter Mitwirkung des Stadtverordnetenvorstehers Dr. Stryck, der in Seehof eine Villa hat, gegründet worden ist, endlich nach langem Warten, so daß sich schon der Spott rege machte, dem Verkehr übergeben.“
(Quelle: Berliner Verkehrsblätter 11/91)

Die Strecke war 5,2 Kilometer lang, eingleisig, und die Züge fuhren im 30-Minuten-Takt. Betrieben wurden sie mit Koks. Die Triebwagen hatten 49 Sitzplätze, die Beiwagen 40. Am 31. Mai 1891 konnte die Verlängerungsstrecke nach Stahnsdorf eröffnet werden, womit sich die Gesamtstrecke jetzt auf 8,6 Kilometer verlängerte. Am 10. Oktober wurde die Strecke noch einmal bis zur Machower Schleuse verlängert und maß jetzt 10,3 Kilometer.

Die „Lahme Ente

Woher dieser Spottname rührt, kann man in der Zeitschrift „Die Fahrt, Nr.3/1937“ nachlesen: „Vor Seehof war dabei der ziemlich lange Galgenberg zu ersteigen, den die Maschine nicht immer bewältigen konnte. Häufig kam es vor, dass sie nach dem ersten kühnen Anstreben auf halber Höhe zischend und pustend stehen und stecken blieb. Dann musste halt bis zur Talsenke in Lichterfelde-Süd zurückgedrückt und der Anlauf neu versucht werden. Diesem üblen Umstand verdankte wohl die Bahn den Spottnamen ‚Lahme Ente‘.“ (Quelle: Berliner Verkehrsblätter 11/91)

Am 01. April 1906 wurde die Dampfeisenbahn für 850.000 Mark vom Kreis Teltow erworben und nannte sich fortan ­„Teltower Kreisbahnen“.

Eine neue Ära beginnt – Die Elektrische kommt


Um mit der Zeit mitzugehen, begannen alsbald die Arbeiten zur Elektrifizierung der Bahn, die schon am 30. April 1907 ­abgeschlossen war. Die elektrische Ausrüstung lieferte die Firma Siemens. ­Gleichzeitig wurde in Stahnsdorf in der Hauptstraße (heute Wilhelm-Külz-Straße) ein großes Depot errichtet, in dem 16 Waggons untergebracht, gewartet oder repariert werden konnten. Dieser Hof wurde bis 1925 und dann noch einmal von 1937 bis 1945 genutzt.

Die Straßenbahnlinie Lichterfelde-Ost – Machnower Schleuse führte zunächst die Bezeichnung Z, dann ab dem 24. November 1924 die Liniennummer 100. 1930 wurde sie dann mit der Linie 96 vereinigt und fuhr fortan als 96 von der ­Behrenstraße im Berliner Zentrum bis zur Machnower Schleuse. Infolge des 2. Weltkrieges endete der ­Straßenbahnverkehr nach Teltow am 20. April 1945.

Nachkriegszeit und Trennun

Ab 1946 verkehrte die Straßenbahn 96 wieder auf einem Teilabschnitt bis zu ihrem Endpunkt am Bahnhof Tempelhof. Allerdings war wegen akuten Strommangels um 18:00 Uhr Schluss. Außerdem kam der Strom noch immer aus West-Berlin in die jetzige sowjetische Besatzungszone, was die Situation zusätzlich verkomplizierte.

Seit der Währungsunion am 25. Juni 1948 konnte das Fahrgeld in den Westsektoren zunächst in beiden Währungen – DM-West und DM-Ost – beglichen werden, im sowjetischen Sektor jedoch nur mit DM-Ost. Die Westsektoren zogen nach und führten am 20. März 1949 die DM-West zum alleinigen Zahlungsmittel ein. Dies bedingte einen Schaffnerwechsel an den Endpunkten der jeweiligen Währungsunion, hier an der Haltestelle Lichterfelde, Lindenstraße.

Immer wieder kam es dabei zu Zwischenfällen, teilweise auch zu Verhaftungen von BVG-Schaffnern durch die Volkspolizei. Da die gesamte Linie 96 immer noch von der West-Berliner BVG betrieben wurde, stellte diese am 14. Oktober 1950 jeglichen Verkehr in die DDR ein: Die Linie 96 verkehrte nun nur noch vom Bahnhof Tempelhof bis Lichterfelde, Lindenstraße.

Teltow macht alleine weiter

Damit mussten sich die Verantwortlichen im Osten Gedanken machen, wie man die Reststrecke Seehof – Machnower Schleuse von nun an betreiben könne. Übergangsweise wurden ab dem 17. Oktober 1950 Busse eingesetzt, die bis zum damaligen S-Bahnhof Stahnsdorf fuhren. Da diese aber dringend für den innerörtlichen Verkehr in Kleinmachnow gebraucht wurden, wurden diese zwei Monate später schon wieder aus dem Verkehr gezogen.

Ab dem 12. Dezember übernahm dann der Betriebshof Treptow die Verantwortung für die „Ost-96“, die sowohl Personal als auch die Fahrzeuge stellte. Dazu brauchte man aber Wagen aus Ost-Berlin, die nachts über das Schienennetz West-Berlins überführt wurden. Hinderlich war zudem, dass das Personal – aus Treptow kommend – einen extrem langen Weg zur Arbeit hatte.

Ab dem 22. Dezember 1950 nahm der Ost-Berliner TW 5595 den Betrieb auf, und mit drei Uralt-Beiwagen konnte immerhin ein 30-Minuten-Takt gewährleistet werden. Ab 1952 installierte man ein eigenes Gleichrichterwerk, um endlich unabhängig von den Stromlieferungen aus West-Berlin zu sein. Ein krasser Schnitt bedeutete der Mauerbau am 13. August 1961: Alle Verkehrsverbindungen von West-Berlin ins nähere Umland wurden jäh abgeschnitten! Die „96-Ost“ wurde am 31. Oktober endgültig eingestellt, obwohl sie schon seit 11 Jahren die Grenze nicht mehr passiert hatte. Es lohnte sich einfach nicht mehr.

Heute zeugen nur noch ein paar Schienenreste, die ins Nichts führen, an der Dorfaue in Stahnsdorf und am ­Ruhlsdorfer Platz in Teltow von vergangenen Zeiten.

Seit Juni 2009 steht nun ein Rest der legendären Bahn an der Machnower Schleuse, ankämpfend gegen Witterung und Korrosion. Geöffnet ist das Abteil von April bis Oktober an jedem Samstag und Sonntag von 13:00 bis 18:00 Uhr.

Fotos: Elisabeth Kaufmann und Redaktion