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Wo die Vergangenheit fürdie Zukunft bewahrt wird

„Heimatverein“ – da denkt man an ältere Leute, die nostalgisch an Relikten der ­Vergangenheit hängen. Der Stahnsdorfer Heimatverein ­besteht tatsächlich aus ­Mitgliedern höheren Durchschnittsalters – von Rückwärtsgewandtheit aber keine Spur. Ende September feierten sie das 30-jährige Bestehen ihres Vereins und schauten ­durchaus optimistisch in die Zukunft.

Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker schrieb einmal: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ Und tatsächlich scheint es so, dass in der heutigen Zeit der flüchtige Augenblick, die spontane Empörung oder unbegründete Panikmache, medialer Hype und vergänglicher Ruhm besonders bei jungen Leuten Wirkung zeigen – eben weil ihr Blick oft noch nicht über die eigene mediale Blase hinausreicht und das Wissen über geschichtliche und politische Zusammenhänge fehlt. Umso wichtiger ist es, Zeugnisse der Vergangenheit zu bewahren und den nachfolgenden Generationen zugänglich zu machen. Genau das sieht der Heimatverein Stahnsdorf als seine Hauptaufgabe.

Haus des Heimatvereins Stahnsdorf.

Rund vierzig Mitglieder zählt der Verein, der im Tannenweg 3 sein Domizil hat. Das kleine Haus wurde von der Wohnungsgesellschaft der Gemeinde ­Stahnsdorf überlassen, vom Verein nach dem Umzug zunächst provisorisch möbliert und mit einer kleinen Ausstellung eröffnet. Eigentlich sind die Räumlichkeiten für die umfangreiche Sammlung zu eng, zudem nicht barrierefrei zugänglich und im Untergeschoss zu dunkel. Da liegt noch viel Arbeit vor den Mitgliedern, um die einmaligen Exponate zu ordnen und so zu positionieren, dass sie unter diesen Umständen optimal zur Geltung kommen können. Größere Besuchergruppen durch die Räume zu führen, ist unmöglich – schon aus Sicherheitsgründen, denn durch die Enge stößt man leicht an den Vitrinen und Ausstellungsstücken an. Da wünscht man den Aktiven, dass sie vielleicht doch noch einmal ein geeigneteres Umfeld bekommen, um die Schätze einem größeren Publikum zugänglich machen zu können. Schließlich sollen die Exponate ja auch Bildungszwecken dienen und nicht im Keller verstauben.

Modell des ehemaligen Stahnsdorfer Bahnhofs.

Die Erfassung, Digitalisierung und Aufbereitung der Sammlung wäre eigentlich eine lohnende Aufgabe für eine studentische Projektgruppe oder eine schulische Arbeitsgemeinschaft. Genau darauf hofft der Vorsitzende des Vereins, Mirko Heilmann: „Das wäre ein tolles Geschichtsprojekt für junge Leute, dabei würden wir sie gern unterstützen.“ Dass der Verein das mit eigenen Mitteln schaffen könnte, glaubt er nicht. Die wenigen jüngeren Mitglieder sind beruflich zu eingespannt, und die älteren kennen sich mit den Möglichkeiten von Grafik- und Archivierungsprogrammen nicht aus. Allzu gern würden die Aktiven, denen viel am Fortbestand des Vereins gelegen ist, die Zeugnisse aus der Vergangenheit für die Zukunft bewahren. „Das ist besonders wichtig, weil es immer weniger alteingesessene Stahnsdorfer gibt und der Ort sich immer mehr zu einer Schlafstätte entwickelt“, bedauert Heilmann. Die Kontakte zu den Schulen, die durch ­Corona abgerissen waren, sollen jetzt wiederbelebt werden, um Schüler und deren Eltern zu erreichen und hoffentlich auch jüngere Mitglieder zu gewinnen.

Anders als Heimatvereine in anderen Gegenden Deutschlands kümmert sich der Stahnsdorfer Verein nicht um die Erhaltung von Dialekt und Brauchtum, sondern um die mehr als 750-jährige Geschichte eines Ortes, dessen Einwohnerzahl innerhalb eines Jahrhunderts um gut das Zehnfache gestiegen ist – allein in den letzten dreißig Jahren sind mehr als 10.000 Neubürger hinzugekommen. Umso wichtiger, unter den Einwohnern ein Bewusstsein für die Vergangenheit ihres Wohnorts zu entwickeln, damit sie sich mit ihm identifizieren können. Ohne Identifikation keine Gemeinschaft, ohne Gemeinschaft keine Perspektive, könnte man sagen. Geschichtskenntnis hat nichts mit Nostalgie zu tun, sondern ist unabdingbar, um reflektiertes Denken und Handeln in der Gegenwart zu ermöglichen. Geschichtsschreibung erinnert an Leistungen, die zeigen, was früher möglich war und daher wieder möglich wäre – der Spruch „Man muss das Rad nicht neu erfinden“ gilt vielleicht auch für Bauvorhaben der Gemeinde oder Formen des Zusammenlebens. Eine Wiederbelebung der Traditionen des Ortes könnte durchaus gewinnbringend sein, und dazu ist der umfangreiche Fundus des Heimatvereins prädestiniert, um Anregungen und Zukunftsvisionen den Weg zu ebnen.

Schautafel aus der Ausstellung.

Momentan konzentriert sich die Arbeit der Vereinsmitglieder hauptsächlich auf die Veranstaltung von Führungen, Vorträgen und die eigene historische Weiterbildung. Regelmäßige Öffnungszeiten gibt es bisher nicht, Erfahrungen mit Sonntagsöffnungen waren in der Vergangenheit frustrierend. Umso wichtiger, dass der Verein die Außenwirkung verstärkt. Eine Informationstafel ist ebenso geplant wie eine Optimierung der Webpräsenz. Möglicherweise finden so auch die interessanten von Mitgliedern verfassten Broschüren eine größere Beachtung. Zu wünschen wäre das allemal, denn selbst Stahnsdorfer, die bereits mehrere Jahrzehnte hier wohnen, kennen die Historie der Orte in ihrer eigenen Umgebung nicht. Wer weiß beispielsweise etwas über die braune Vergangenheit des Green Parks? Die spannendsten Geschichten spielen manchmal vor der eigenen Haustür.

Die Geschäftsstelle der Mittelbrandenburgischen Sparkasse, die sich direkt gegenüber des Vereinshauses befindet, hat jedenfalls die Bedeutung des Heimatvereins erkannt und unterstützt ihn regelmäßig. So kamen auch zwei Mitarbeiterinnen zur Jubiläumsfeier und überreichten dem Vereinsvorsitzenden Mirko Heilmann ein Geschenk. Über Spenden aus der Bevölkerung würde sich der Heimatverein ebenfalls freuen, der sich ansonsten lediglich aus Mitgliedsbeiträgen finanziert. Dabei wären durchaus größere Beträge nötig, um die Visionen, die dieser Verein – mit älteren Mitgliedern, aber zukunftsorientierten Ideen – hat, zu realisieren. Größere Außenwirkung gehört auf jeden Fall zu den Zielen, aber auch die Gewinnung von jungen Leuten, die der lokalen Historie eine Zukunftsperspektive verleihen und neue Ideen mit einbringen. Ein Videoprojekt, bei dem ältere Stahnsdorfer ihr Leben erzählen, die Erfassung der Geschichte historischer Gebäude im Ort, die Erforschung des Schicksals ehemaliger Bewohner – das wären genau die Themen, die spannende Entdeckungen garantieren. Und so wünscht man dem Heimatverein viele neue Mitglieder, fruchtbare Zusammenarbeit und viel ­Erfolg für die nächsten 30 Jahre.

Fotos: Mario Kacner