Zu jung für Politik? – Wie bilden sich die jungen Menschen in unserer Region ihre Meinung?
Wie geht es jungen Menschen in Deutschland und in der Region TKS? Welche politischen und gesellschaftlichen Themen beschäftigen sie und wie optimistisch blicken sie in ihre Zukunft? Im Vorfeld der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar hat das Teltower Stadtblatt aktuelle Jugendstudien ausgewertet und das Gespräch mit Jugendlichen aus der Region gesucht.
Knapp 570.000 Menschen unter 25 Jahren leben derzeit in Brandenburg. Das entspricht einem Anteil von rund 22 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Damit zählen Jugendliche statistisch gesehen zur Minderheit im Bundesland. In der Region Potsdam-Mittelmark gehören rund 28.300 Schülerinnen und Schüler zu der Generation, die in den kommenden Jahren Verantwortung für das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben übernehmen wird. Mit Blick auf die Bundestagswahl im Februar hat der lokal.report das Gespräch mit jungen Menschen in der Region TKS gesucht und gefragt, welche Themen sie aktuell bewegen.
Shell-Jugendstudie gibt Einblick in die Lebenswelten von Jugendlichen in Deutschland
Die 19. Ausgabe der Shell-Jugendstudie, die im Herbst 2024 erschienen ist, beleuchtet die Lebensrealitäten junger Menschen in ganz Deutschland. Unter dem Titel „Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt“ zeichnet die Studie ein differenziertes Stimmungsbild: Zum einen zeigen sich Jugendliche in Deutschland aufgrund vielfältiger globaler Krisen besorgt. So geben 81 Prozent an, Angst vor einem Krieg in Europa zu haben, 67 Prozent seien aufgrund der wirtschaftlichen Lage im Land besorgt. Auch die zunehmende Feindseligkeit in der Gesellschaft bereite einer Mehrheit der Jugendlichen Bauchschmerzen. Neben diesen Sorgen und Ängsten blickt ein Großteil der Jugendlichen jedoch positiv in die Zukunft und ist optimistisch, künftig einen guten Arbeitsplatz zu finden. In Hinblick auf politische Themen würden sich junge Menschen heute zudem deutlicher als noch vor einigen Jahren positionieren, wobei das Interesse an Politik gestiegen sei, so die Shell-Studie. Gleichzeitig würden viele Jugendliche jedoch auch wahrnehmen, dass politische Debatten zunehmend polarisiert sind und weniger Raum für Konsens lassen.
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Politische Informations-beschaffung zwischen digitalen und klassischen Medien
Politische Informationen beziehen Jugendliche heute insbesondere über Online-Medien sowie über klassische Informationskanäle. Die digitale Informationsbeschaffung nimmt laut Shell-Studie weiter zu. So würden immer mehr Jugendliche Online-Plattformen wie YouTube, TikTok oder Instagram und X nutzen, um sich über politische und gesellschaftliche Themen zu informieren. Dennoch bleiben auch klassische Medien wie die ARD- und ZDF-Fernsehnachrichten sowie überregionale Tageszeitungen für Jugendliche relevant und werden von einer großen Mehrheit als besonders vertrauenswürdig wahrgenommen.
Studie zur Lebenswelt der Jugend in Brandenburg
Die Ergebnisse der ein Jahr zuvor veröffentlichten regionalen Befragung „Jugend in Brandenburg 2022 / 2023“ deckt sich in vielen Bereichen mit den Ergebnissen der Shell-Studie. So seien Jugendliche insgesamt mit ihrer Lebenssituation zufrieden und würden optimistisch in ihre berufliche Zukunft blicken. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse der Befragung, dass globale Krisen auch in Brandenburg zu Unsicherheiten führen. So bereiteten den Jugendlichen in dieser Zeit insbesondere die „Inflation“ (62,7 Prozent) und eine „mangelnde Energieversorgung“ (49,2 Prozent) Sorgen.
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Stimmen aus der Region: So sehen Jugendliche in Brandenburg die Situation
Im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern an der Grace-Hopper-Gesamtschule in Teltow wird deutlich, wie sich Jugendliche in der Region über tagesaktuelle Themen informieren: Lara, Schülerin der 10. Klasse, erklärt: „Ich informiere mich über soziale Medien, schaue die Tagesschau und spreche viel mit meinen Eltern über Politik und Gesellschaft.“ Ihre Klassenkameradin Amelie ergänzt: „Auch TikTok ist eine wichtige Plattform für mich. Ich schaue mir Accounts wie ‚Herr Anwalt‘ an, der schwierige Themen einfach erklärt.“ Marco, der letztes Jahr an der Maxim-Gorki-Schule in Kleinmachnow sein Abitur gemacht hat, erklärt: „Viele Informationen werden mir über Instagram vorgeschlagen, ohne dass ich aktiv danach suche.“ Viele Schülerinnen und Schüler wünschen sich mehr Orientierung in der politischen Debatte: „In der Gesellschaft wird so viel und wild durcheinander diskutiert – da ist es schwierig, durchzuschauen und sich seine eigene Meinung zu bilden“, so Lara.
Gerade die Schule sehen viele Schülerinnen und Schüler in der Pflicht, politische Themen zu vermitteln. Luca, 17, Abiturient an der Grace-Hopper-Gesamtschule, meint: „Wir hatten das Fach Politische Bildung in der Mittelstufe, aber in der Oberstufe ist Politik kaum noch ein Thema. Das sollte sich ändern.“ Positiv merkten die Schüler an, dass engagierte Lehrer aktuelle Themen ins Klassenzimmer bringen und Raum für Gespräche eröffnen. Richard, 17, erzählt: „Wir haben einen Geschichtslehrer, der uns zu Beginn jeder Stunde die ,Tagesschau in 60 Sekunden‘ zeigt. Danach haben wir die Möglichkeit, Fragen zu stellen und unsere Gedanken mitzuteilen.“
Auch die Lehrkräfte erkennen den Bedarf an einer vertieften politischen Bildung. Christoph Schwarzer, Lehrer des Fachs Gesellschaftswissenschaften an der Grace-Hopper-Gesamtschule: „Vor jeder Wahl werden an unserer Schule im Rahmen eines Projektes alle Parteiprogramme der im Parlament vertretenen Parteien verglichen und erläutert. Darauf aufbauend formulieren die Schülerinnen und Schüler Fragen, die sie bei unserem ‚HopperTalk‘ direkt an Jugendpolitiker der Region richten können.” In Kleingruppen treten die Schülerinnen und Schüler dann in einen direkten Dialog mit den Politikern. Solche Formate würden zu einer tieferen Auseinandersetzung mit verschiedenen Perspektiven anregen und den politischen Austausch fördern, so Schwarzer.
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Gesprächsbereitschaft, so wird in der Unterhaltung mit den Schülerinnen und Schülern deutlich, ist vorhanden. Gleichzeitig wird der Umgang mit gegensätzlichen Meinungen stellenweise als schwierig wahrgenommen. Richard: „Ich diskutiere viel mit meiner Familie und Freunden über politische und gesellschaftliche Themen. Schwierig wird es, wenn man mit Menschen spricht, die auf ihrer Meinung beharren und keine andere Meinung zulassen.“ Ähnlich drückt es Marco aus: „Ich rede mit meinen Eltern viel über Politik und Gesellschaft und fange auch gern die ein oder andere Diskussion an. In der Schule hatte ich jedoch das Gefühl, dass sich viele nicht getraut haben, ihre Meinung zu äußern, aus Angst nicht die allgemeine Stimmung der Klasse widerzuspiegeln und als Außenseiter dazustehen.“ Aktuelle politische Themen wie die innere Sicherheit und soziale Konflikte, aber auch der Klimawandel und Umweltschutz sind für viele Jugendliche bedeutend. Gerade beim Klimaschutz wünschen sich viele von ihnen greifbare Handlungsvorschläge.
Doch wie sieht die politische Haltung der Jugendlichen konkret aus? Einen Einblick bietet die Juniorwahl, die im Jahr 2024 an der Grace-Hopper-Gesamtschule anlässlich der Europawahlen durchgeführt wurde. Von den 515 teilnehmenden Schülerinnen und Schülern wählten jeweils 21,9 % die SPD und die CDU, gefolgt von der AfD mit 17,3 %. Die Linke erhielt 6,6 % der Stimmen, dicht gefolgt von der FDP und der Tierschutzpartei. Bündnis 90 / Die Grünen erreichte einen Stimmenanteil von 3,5 %, während 12,4 % der Schülerinnen und Schüler ihre Stimme an andere Parteien vergaben. Die Ergebnisse zeigen eine politisch vielfältige und differenzierte Meinungslandschaft. Während etablierte demokratische Parteien großen Zuspruch erfahren, fällt auch der beachtliche Anteil an Stimmen für die AfD auf. Aber auch das Interesse an alternativen Ansätzen findet sich in dem großen Stimmenanteil für kleinere Parteien wieder.
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Schwarzer betont den Wert solcher Projekte: „Die Juniorwahl bereitet die Jugendlichen auf die politische Teilhabe vor. Studien zeigen, dass das die Wahrscheinlichkeit erhöht, später tatsächlich zur Wahl zu gehen. Unsere Aufgabe in der Schule ist es, den komplexen Charakter gesellschaftlicher Debatten zu vermitteln, denn die Welt ist vielschichtiger, als es Social Media oft darstellt.“
Dass trotz der vielfältigen Herausforderungen viele Jugendliche optimistisch bleiben und ihre Zukunft selbst mitgestalten wollen, wird im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern deutlich. Marco fasst zusammen: „Die Inflation und Wirtschaftskrise beschäftigen mich natürlich – und ich ärgere mich auch darüber, dass meine Busfahrt immer teurer wird. Aber im Hinblick auf meine Zukunft bin ich trotzdem positiv. Ich glaube, wenn man fleißig ist und sich anstrengt, kann man immer etwas erreichen.“
Fotos: Grace-Hopper-Gesamtschule Teltow und Eva Hofmann