Waldschänke Stahnsdorf: Eine fast unendliche Geschichte
Im Jahre 1920 war die Welt in Stahnsdorf noch in Ordnung: Der Ort hatte knapp 1.400 Einwohner, war an Elektrizität, Klärwerk, Straßen- und Eisenbahnlinien angeschlossen, und das machte die märkische Landidylle für den Berliner Immobilienmarkt so attraktiv, dass mehrere neue Siedlungen gegründet wurden. So konnte man sich für den günstigen Preis von einer Mark pro Quadratmeter große und ruhig gelegene Grundstücke kaufen. Auf dem Teltowkanal herrschte reger Schiffsverkehr, der nicht nur Waren, sondern bald auch Touristen ins Umland und von hier aus in die Hauptstadt beförderte.
Außer den Lastkähnen verkehrten auf diesem Wasserweg nämlich auch Ausflugsschiffe, und daher hatte man bereits vor Kanaleröffnung vorausschauend geplant und für die hungrigen Sommerfrischler aus Berlin unweit der Schleuse eine kleine, gemütliche Ausflugsgaststätte errichtet. Dass auch noch die Endhaltestelle der Straßenbahn vor der Tür lag, verbesserte die wirtschaftlichen Aussichten.
Die Waldschänke war ein beliebter Treffpunkt

Die „Waldschänke" entwickelte sich rasch zum beliebten Treff für die Stahnsdorfer und ihre Gäste aus nah und fern. Bald gab es schräg gegenüber auch ein Ausflugscafé, aber rundherum standen noch keine weiteren Gebäude, sodass der Name „Waldschänke" wirklich berechtigt war.
Nach dem Krieg übernahm die HO (Handelsorganisation der DDR) das Restaurant und erweiterte während der folgenden Jahre die bis dahin recht beengte Gaststube, sodass dort auch größere Familienfeiern veranstaltet werden konnten. Ab 1960 wurde die Gaststätte von Jürgen Lassotta geleitet, der sie zu einem beliebten gastronomischen Treffpunkt machte – auch für Einheimische und ihren „Westbesuch".
Nach der Wende hätte er das Haus am liebsten gekauft und hatte bereits Verhandlungen mit der Treuhand geführt, als sich plötzlich herausstellte, dass eine Rückübertragung an die Gemeinde bevorstand. Von ihr konnte man schließlich die Gaststätte pachten und als Familienbetrieb mit einigen Angestellten fortführen. Das nächste Projekt war eine umfangreiche Renovierung und eine Neugestaltung der Außenfassade im damals beliebten Fachwerklook. Bald reichten die vorhandenen Sitzplätze nicht mehr aus, deshalb erweiterte man den Gastraum durch einen beheizten Wintergarten.
Trotz der langjährigen und langwierigen Umbaumaßnahmen an der Schleuse, die mit einer Straßensperrung verbunden waren, lief der Betrieb weiter gut – so lukrativ, dass das auf der Kleinmachnower Seite gelegene „Gasthaus zur Schleuse" dazu erworben werden konnte. Bis zum heutigen Tag hielt sich die Traditionsgaststätte mit ihrer gutbürgerlichen Küche von gastronomischen Erneuerungen fern und war daher besonders beim älteren Publikum beliebt. Durchschnittlich 40 Prozent des Umsatzes wurden durch Familienfeiern erzielt.
Im Dezember 2017 wurden die letzten Gäste bedient
Bis Ende 2017 führten die Söhne Gunther und Uwe Lassotta das Lokal, aber in jüngster Zeit erschwerten gesundheitliche Probleme in der Familie und Personalmangel den gastronomischen Weiterbetrieb. Letzteres scheint heutzutage auch anderen Restaurantbetrieben das Überleben schwer zu machen. Es wird immer mühsamer, geeignetes und qualifiziertes Personal zu finden. Daher sahen sich die Betreiber im Juli 2017 schweren Herzens dazu gezwungen, ihren Pachtvertrag bei der Gemeinde zu kündigen. Dies überraschte die Gemeindevertretung, sodass man nach der Sommerpause zunächst eine Weile darüber beriet, wie man weiter mit dem Objekt verfahren sollte. Ein Bürger- oder Familienzentrum kam ins Gespräch, doch letztendlich setzten sich diejenigen durch, die das Haus als traditionelles Restaurant für Familienfeiern erhalten wollten.
Dass sich die Gemeinde nicht für einen der vier vorgeschlagenen Nachfolger entscheiden konnte (und außerdem seinen Entschluss zu früh kommunizierte), enttäuschte Gunther Lassotta sehr, zumal er gedacht hatte, dass eine bindende Übergabe verabredet war. Das steht jedoch nicht im Beschluss, den die Gemeindevertretung im November gefasst und jüngst bekräftigt hat: Hier wird nur festgelegt, dass das Haus als Gastronomiebetrieb weiterbetrieben werden soll und der Nachfolger das Inventar des bisherigen Pächters käuflich erwerben muss. Außerdem möchte die Gemeinde im Nebengebäude eine öffentliche Toilette installieren – sicher eine sinnvolle Maßnahme im Hinblick auf die Nähe von Busbahnhof und Schleuse.
Ein neuer Pächter wird nicht von allen gern gesehen
Bezüglich der „Waldschänke" strebt man – und das ist nachvollziehbar – einen langfristigen und nachhaltigen Pachtvertrag an und möchte sich daher nicht entscheiden, bevor die Interessenten ausführliche Businesspläne vorgelegt haben. Daher wird zunächst der Investitionsbedarf berechnet und das Objekt öffentlich ausgeschrieben – sehr zum Leidwesen der Familie Lassotta, die sich um ihr Inventar Sorgen macht, das bei längerem Leerstand leiden könnte. Wohin sich allerdings der gastronomische Betrieb zukünftig entwickeln soll, steht keineswegs fest.
Mehrere Restaurantbetriebe in unmittelbarer Umgebung bieten ebenfalls Räume für Familienfeiern an, und ob man mit einer gastronomischen Ausrichtung wie bisher weiterhin wirtschaftlich arbeiten kann, ist ungewiss. So kann man nur hoffen, dass die Gemeinde Stahnsdorf geeignete Bewerber findet, die in der Lage sind, den traditionellen Standort behutsam zu modernisieren und langfristig zu erhalten. Bis zum Jahresende lagen bereits acht Bewerbungskonzepte für einen gastronomischen Nachfolger vor. Doch nun regt sich Widerstand bei den Nachbarn. Laut einem Kommentar in einer regionalen Monatszeitung sollen sich bereits drei im Umkreis ansässige Gastromen schriftlich an die Gemeinde gewandt haben, um vor einer neuen drohenden Konkurrenz zu warnen. Demnach seien sie mit der geschlossenen "Waldschänke" durchaus zufrieden, da sich am Standort sicher kein Pächter dauerhaft halten können würde. Ein Gemeindevertreter soll sich dieser Argumentation bereits angeschlossen haben und möchte den Beschluss rückgängig machen. Es bleibt also spannend und für manche sicher auch nervenaufreibend, wohin die Reise der alten "Waldschänke" gehen wird.
Text: KP / Foto historische Waldschänke: Heimatverein Stahnsdorf, Waldschänke um 1990: J. Lassotta