In der Ferne zu Hause sein
Um Jugendlichen zu ermöglichen, ihre Talente zu entfalten und andere Kulturen kennenzulernen, bietet der Rotary Club Kleinmachnow Programme für Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren an – und das in über 100 Ländern weltweit. So kam auch Luciana Leoni aus Chile für ein Austauschjahr ins über 12.000 Kilometer entfernte Kleinmachnow.
„Du musst wissen, dass ich schnell spreche. Und wenn ich schnell sage, dann meine ich wirklich schnell!“ – Das sind die ersten Worte von Luciana Leoni, als wir uns im Café Medoc in Kleinmachnow treffen. Und die Austauschschülerin aus Chile übertreibt nicht. Sie redet wie ein Wasserfall, wechselt zwischen Englisch und Deutsch hin und her und schwärmt von den vielen Menschen, die sie fern der Heimat kennengelernt hat.
Seit gut einem halben Jahr lebt sie nun in Kleinmachnow und kommt ursprünglich aus einem kleinen Ort in Chile, in dem es, wie sie lachend sagt, nicht einmal ein Einkaufszentrum gibt. Reisen wollte sie schon immer, denn die Welt ist zu schön, um sie zu übersehen. Eher zufällig erfuhr sie vom Rotary Jugendaustausch, der es jungen Menschen weltweit ermöglicht, ein Schuljahr im Ausland zu verbringen. Voraussetzung ist, dass sich die Bewerber als gute Schüler profiliert haben, berichtet Heiner Kroke vom Rotary Club Kleinmachnow. „Der Rotary Club Kleinmachnow ermöglicht jedes Jahr zwei Schülerinnen oder Schülern aus Kleinmachnow, ein Austauschjahr im Ausland zu verbringen, und zwei jungen Menschen aus dem Ausland, Kleinmachnow und seine Umgebung kennenzulernen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man Rotary-Mitglied ist oder nicht.“ Luciana Leoni hat sich online für ein Austauschjahr im Ausland beworben und die Zusage aus Deutschland erhalten. Während ihres Aufenthaltes besuchte sie eine Schule in Potsdam und lebte bei einer Gastfamilie in Kleinmachnow. Unterkunft, Verpflegung und Schulgeld wurden vom Rotary Club gestellt. Bevor sie nach Kleinmachnow kam, sprach Luciana kein Deutsch, hatte sich aber intensiv mit der Sprach-App Duolingo auf ihren Aufenthalt vorbereitet. „Die ersten deutschen Wörter, die ich hier gelernt habe, waren: Hör auf! Die Gastfamilie, bei der ich wohnte, hatte vier Kinder – ein Mädchen und drei Jungs“, erinnert sich Luciana. „Und diese drei Jungs bekamen von ihrer Mutter immer wieder zu hören: Hör auf! In den verschiedensten Tonlagen … Das war gelebte Sprache, ganz anders als in der App!“, lacht Luciana.
An Kleinmachnow gefällt Luciana am besten, dass der Ort so sauber ist und dass es gute öffentliche Verkehrsmittel gibt. „Ich finde es bewundernswert, wie viele Menschen in Deutschland mit dem Bus fahren, auch wenn sie ein Auto haben. Ungewohnt war für mich die Pünktlichkeit, die hier herrscht. Wenn man sich in Chile für 09:00 Uhr verabredet, kommt man natürlich um 09:30 Uhr. Hier meint man wirklich 09:00 Uhr! In der ersten Schulwoche kam ich immer zu spät. Aber jetzt schätze ich Pünktlichkeit.“ Auch an das Essen musste sich Luciana erst gewöhnen. „Die ersten Monate habe ich nur Gemüse gegessen, weil in meiner Gastfamilie alle Vegetarier waren. Das war nicht einfach, denn in Chile gibt es zu jeder Mahlzeit Fleisch.“ An ihrer Schule schätzt Luciana das große digitale Angebot. Anders als in Chile, wo sie jeden Tag mindestens zehn verschiedene Bücher für den Unterricht mitnehmen musste, kann sie in Potsdam alles über das iPad abrufen.
Durch das Rotary-Austauschprogramm hat Luciana auch viele andere Jugendliche kennengelernt, die gerade in Deutschland und Europa leben. Daraus sind viele Freundschaften entstanden. Ein gutes Verhältnis hat sie auch zu Heiner Kroke, der ihr Mentor vom Rotary Club für die Zeit in Deutschland ist. Er ist ihr erster Ansprechpartner, wenn es um Probleme wie die Krankenversicherung oder Ausflüge mit anderen Austauschschülern geht. So unternahm Luciana zwei Europareisen – die erste führte sie über Paris, London und Brüssel nach Amsterdam, die zweite nach Österreich, Tschechien, Slowenien, Ungarn und Italien. „Wir haben ganz klare Regeln und Erwartungen an die Austauschschüler, die wir fördern“, sagt Heiner Kroke. „Die Jugendlichen müssen sich von Alkohol und Drogen fernhalten. Das ist wie beim Fußball. Beim ersten Vergehen gibt es die gelbe Karte. Beim zweiten muss der Austauschschüler zurück in sein Heimatland. Das ist wichtig, denn wir wollen mit unserem Programm einen Beitrag zur interkulturellen Erziehung leisten.“ Ganz im Sinne der 1905 in den USA gegründeten Rotary-Bewegung, die sich vor allem für Frieden und Völkerverständigung durch gegenseitiges Kennenlernen einsetzt.
„Für mich war das Austauschjahr wie ein intellektueller Wachstumsschub“, sagt Luciana. „Ich hätte nicht gedacht, dass man sich in einem Jahr so viel weiterentwickeln kann, über sich hinauswachsen kann. Man ist plötzlich in einer völlig fremden Umgebung und weiß nur: Ich muss und ich kann das schaffen! Und man lernt Menschen kennen, die einem helfen wollen, und das macht Mut und spornt an. Ein Jahr im Ausland ist so intensiv wie fünf Jahre zu Hause.“ Während ihrer Zeit in Deutschland konkretisierte sich auch Lucianas Berufswunsch. In Chile wollte sie Finanzwissenschaften studieren. Nach ihrem Auslandsaufenthalt in Kleinmachnow entschied sie sich, Kindergärtnerin zu werden. „Es klingt vielleicht komisch, aber man sitzt 12.000 Kilometer von zu Hause entfernt in der S-Bahn, und plötzlich wird einem klar, was man im Leben wirklich will. Und ich möchte Menschen auf ihrem Weg durchs Leben helfen. Und was gibt es da Besseres als den Kindergarten? Wo jeder am Anfang steht, so wie ich, als ich nach Kleinmachnow kam?“
Fotos: Redaktion