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Wie Trauerredner die richtigen Worte finden

Er gehört zum Leben, aber die Auseinandersetzung mit ihm wird gefürchtet: der Tod. Fast alle Religionen versuchen, die Trauernden aufzufangen und Fragen nach einem „Danach“ zu beantworten. Auch in Deutschland waren Bestattung und Trauerarbeit über Jahrhunderte fast ausschließlich ein religiöses Anliegen und damit eine Aufgabe der Kirchen: Die Hinterbliebenen waren in der Regel selbst religiös, dem Tod wurde aus biblischer Sicht begegnet. Dies änderte sich im vergangenen Jahrhundert schlagartig, besonders auf dem Gebiet der heutigen neuen Bundesländer: Die DDR drängte die Religion ins Abseits, sie galt als überholt und unvereinbar mit dem Sozialismus.

Eine vornehmlich nicht-religiöse Gesellschaft entstand, Kirchgänger wurden zur Randgruppe. Die Entwicklung hallt bis heute nach – auch in unserer Region: Im Kreis Potsdam-Mittelmark bezeichnen sich bis heute laut aktuellem Zensus nur knapp 23 Prozent der Einwohner als evangelische Christen. Weit abgeschlagen folgen die Katholiken mit rund 4,5 Prozent; Freikirchen, Orthodoxe und andere Glaubensgemeinschaften erreichen jeweils nicht einmal einen Prozent. Hinzu kommen Menschen, die sich mit ihren individuellen Glaubensvorstellungen in keiner Kirche wiederfinden.

Wie begegnen nun Nichtchristen dem Tod, dem Verlust geliebter Menschen? In einem vorwiegend nicht-religiösen Landkreis ist der Bedarf an qualifizierter, einfühlsamer Trauerbegleitung auch ohne biblischen Bezug besonders groß: Hier bemühen sich Trauerredner um Trost und Begleitung. „Ich möchte den Trauernden das Gefühl vermitteln, keine bloße Dienstleisterin zu sein, sondern ich rücke den Verstorbenen und seine Angehörigen in den Mittelpunkt“, berichtet Rednerin Bettina Schiller. Bei einem zwei-bis dreistündigen Trauergespräch lässt sie gemeinsam mit den Hinterbliebenen das Leben des Verstorbenen Revue passieren; hinzu kommen Telefonate mit anderen Familienmitgliedern oder Freunden, die ihr aus dem Leben mit dem Verstorbenen erzählen. Die Freiberuflerin hält etwa 60 Trauerreden im Jahr, doch damit sei es nicht getan: „Ich begleite die Menschen über einen langen Zeitraum; auf Wunsch der Familie bin ich schon für sie da, bevor sich ein geliebter Mensch aus dem Leben verabschiedet.“ In manchen Fällen sei sie auch nach der Trauerfeier noch Ansprechpartnerin.

„Ich begleite Trauernde auch über einen längeren Zeitraum“, erzählt Bettina Schiller.
Foto: Bettina Schiller

Doch wie finden Redner und Trauernde zusammen? „Bestattungsinstitute verfügen über einen Pool an Rednern“, erklärt Bianca Balzer, die als Rednerin ebenfalls Trauernde begleitet. Ein anderer Weg ist die direkte Weiterempfehlung durch Bekannte oder Freunde, die angesichts eines Trauerfalls auf der Suche nach einer einfühlsamen Begleitung sind. „Allerdings haben es Quereinsteiger nicht immer leicht, denn Bestatter setzen vornehmlich auf Redner, mit denen sie seit Langem zusammenarbeiten“, berichtet Bettina Schiller über die Auftragslage. „Doch die Trauerfälle sind für mich kein Auftrag, keine Routine“, unterstreicht sie. „Ich begleite die Trauernden ein Stück des Weges in ihrer Trauer.“

Durch persönliche Schicksalsschläge fand sie ihre Berufung, Menschen beim Abschiednehmen zu begleiten. Durch Behandlungsfehler des Krankenhauses kam ihr Kind als „Sternenkind“ tot zur Welt; ein halbes Jahr später verstarb ihr Vater. „Durch den offenen Umgang mit der Trauer habe ich gelernt, mit dem Tod umzugehen. Diese Stärke möchte ich anderen Menschen in ihren schwersten Momenten weitergeben. Nachdem ich Jahre später für meine Mutter die Trauerrede hielt, erkannte ich meine Berufung und wurde 2013 Trauerrednerin.“ Persönliche Wegmarken wiesen auch Bianca Balzer den Weg zum Rednerberuf: Nach Jahrzehnten in einer Bankfiliale hing sie Konten, Kredite und Kalkulationen an den Nagel und folgte dem „Weg ihres Herzens“, wie sie ihn selbst beschreibt: „Ich habe die freie Rede schon immer geliebt – dieser Berufung folge ich nun bei Beerdigungen und auch bei Hochzeiten“, erzählt die Rednerin, die auch als Komponistin aktiv ist. „Bei der Beerdigung präsentiere ich keine Chronologie des Verstorbenen, sondern ich präsentiere ihn in all seinen Facetten.“

„Bei einer Beisetzung sollen die Trauernden über den Ablauf mitentscheiden können“, betont Bianca Balzer. „Und jeder Mensch trauert anders, daher ähnelt keine Feier der anderen.“ Ihre Kollegin Bettina Schiller ergänzt: „Wenn die Beerdigung reibungslos, herzlich, würdevoll und zur vollen Zufriedenheit der Angehörigen verlaufen ist, gibt es auch ihnen das Gefühl, noch einmal alles für den liebsten Menschen getan zu haben.“ Beiden Rednerinnen ist wichtig, was im Trauerfall zunächst ungewöhnlich scheint: Dank zahlreicher Anekdoten aus dem Leben der Verstorbenen wird bei einer Trauerfeier mitunter auch gelacht. „Denn an einem solchen Tag wird nicht der Tod, sondern das Leben noch einmal gefeiert“, hebt Schiller hervor. „Auch am Grab darf gelacht werden!“

Rednerin und Komponistin Bianca Balzer: „Am Grab darf nauch gelacht werden!“
Foto: www.uniquephoto.de

Gläubige Trauernde nehmen unterdessen auf religiösen Beisetzungen den letzten Abschied. Wie für die Rednerinnen ist es jedoch auch für den Kleinmachnower Pfarrer Jürgen Duschka wichtig, den Verstorbenen und sein Leben „kennenzulernen“. Wie bei konfessionsunabhängigen Rednern entsteht der Kontakt zunächst über das Bestattungsinstitut oder direkt mit den Angehörigen. Eine kirchliche Bestattung ist normalerweise Mitgliedern einer Kirchengemeinde vorbehalten, erklärt Duschka, seit 2003 Pfarrer in der Auferstehungs-Kirchengemeinde. In besonderen Situationen seien jedoch Ausnahmen möglich. Für den Pfarrer ist das Trauergespräch ebenfalls ein wichtiger Teil der Vorbereitung für eine Beisetzung, wenn auch unter anderen Umständen als bei Rednern: „Mit 5.000 Mitgliedern ist unsere Gemeinde zwar sehr groß, aber manchmal kennt man die Betroffenen bereits vorher persönlich“, ergänzt Duschka. Dies helfe auch nach der Beisetzung, weil man innerhalb der Kirchengemeinde mit den Trauernden im Austausch bleiben könne. „Auch bei Nachgesprächen kann ich glücklicherweise mitbekommen, wie es den Trauernden in der Zeit danach geht.“

Für die Beisetzung selbst steht der Trauergemeinde, egal ob konfessionslos oder kirchlich, etwa eine halbe Stunde für die Nutzung der Trauerhalle zur Verfügung – ein üblicher Richtwert für Beisetzungen, die außerdem von der jeweiligen Friedhofsverwaltung koordiniert werden müssen. „Diese Zeit ist knapp; oft reize ich diesen Rahmen bis zum Äußersten aus“, schmunzelt Bettina Schiller. Der Zeitrahmen sitzt bisweilen auch Bianca Balzer im Nacken; dennoch besteht sie auf einer würdevollen Feier bis zum Ende der Beerdigung: „Am Grab spiele ich selbst komponierte Musik – die Stille beim Abschied ist ansonsten unerträglich.“

Doch was machen Trauer, Tod und Sterbebegleitung mit Rednern und Pastoren? „Es gibt Fälle, die einem natürlich unter die Haut gehen“, berichtet Rednerin Bianca Balzer. „Besonders schwer ist es, wenn Eltern ihre Kinder zu Grabe tragen müssen oder kleine Kinder am Grab Abschied von ihren Eltern nehmen.“ Hier sei es besonders hart, inneren Abstand zu halten, doch durch das Komponieren könne sie gut mit der Trauer umgehen – dabei entstehen Werke wie „Ich schick dir ein Blumenmeer“ oder „Deine Hand“, die auf dem Youtube-Kanal der Werderaner Komponistin zu finden sind. Für Pfarrer Duschka ist es wichtig, auch eine professionelle Distanz zu wahren: „Sonst könnte ich den Menschen nicht helfen.“ Doch oft kehre er mit positiver Energie von Beerdigungen zurück, denn zu seiner Arbeit als Seelsorger gehöre auch, Menschen zu helfen und in Extremsituationen zur Seite zu stehen. „Suizide oder Fälle, in denen geliebte Menschen durch einen Unfall aus dem Leben gerissen wurden, sind natürlich schlimm, aber die Gewissheit, den Hinterbliebenen zu helfen, spendet mir Kraft für diese Arbeit.“ Bettina Schiller betont: „Ich leide nicht darunter, dass meine Arbeit Tod und Trauer zum Inhalt hat, weil ich lebe und die vielen kleinen Wunder um mich herum wahrnehmen kann. Und wenn ich von einem Gespräch oder einer Trauerfeier nach Hause komme, bin ich dankbar dafür, dass es mir selbst einfach nur gut geht!“    

Text: Philipp Hochbaum