Der Traum vom großen Zelt
Lino Frieses Circus Varieté begeisterte im Januar Tausende. Lokal.report traf Kleinmachnows einzigen Zirkusdirektor und sprach mit ihm über Freude schenken, das Buchen internationaler Artisten und die Vision eines Zirkuszeltes.
Wenn der Vorhang aufgeht und er vor sein Publikum tritt, trägt Lino Friese einen blauen Frack und eine rote Fliege. Zum Treffen mit dem Lokal.report im Dezember 2023 kommt der Kleinmachnower in einen Rollkragenpullover. „Das ist praktischer, wenn man draußen arbeitet“, sagt er zur Begrüßung. Gerade hat er alle Plakate, die in Kleinmachnow, Stahnsdorf und Teltow für sein Circus Varieté werben, mit einem großen Aufkleber versehen. Darauf steht in großen Lettern das eine Wort, von dem jeder Artist träumt: ausverkauft. „Der absolute Wahnsinn“, sagt Lino Friese und strahlt vor Glück. „Und das ganze sechs Wochen vor dem Termin.“
Spätestens nach den beiden Vorstellungen am 13. und 14. Januar ist Lino Frieses Circus Varieté in aller Munde. Minutenlang applaudieren ihm tausende Zuschauer, die an den beiden Abenden in die neuen Kammerspiele in Kleinmachnow geströmt sind. „Die harte Arbeit im Vorfeld hat sich gelohnt“, sagt Lino Friese. „Denn das ist Zirkus. Knochenarbeit!“ Aus dem Mund eines gerade 22-Jährigen klingt diese Erkenntnis umso beeindruckender. Zumal Lino Friese gar nicht aus einer Familie mit Zirkustradition stammt. Sein Vater ist Bankkaufmann, seine Mutter gelernte Kinderkrankenschwester.
Seine Liebe zur bunten und zugleich harten Zirkuswelt entdeckte Lino Friese, als er die Freie Waldorfschule in Kleinmachnow besuchte. Durch Zufall erfuhr er von einem Zirkusprojekt an der benachbarten Waldorfschule in Berlin-Zehlendorf. Davon war er so begeistert, dass er immer mehr über das Thema Zirkus erfahren wollte. Während eines Schulpraktikums in der 11. Klasse auf einem Bauernhof für Menschen mit Behinderung in Nürnberg, laß er daß der Cirkus Voyage in der Stadt gastierte. Beim Besuch der Vorstellung fiel ihm ein Plakat am Eingang auf: Junger Mann oder junge Frau zum Mitreisen gesucht! „Das war die ganze Romantik des Zirkuslebens in einer Zeile“, erinnert sich Lino Friese. „Früher, wenn der Zirkus in eine Stadt kam, sind nach der Vorstellung immer ein paar junge Leute mit dem Zirkustross abgehauen. Heute ist das etwas geregelter. Ich wurde für drei Monate von der Schule freigestellt und durfte mit dem Zirkus auf Tournee gehen. Das ist einer der vielen Vorteile, wenn man eine Waldorfschule besucht.“ Lino Friese lernte das echte Zirkusleben lieben. Er schlief in einem Wohnwagen, fütterte die Tiere, kochte, verkaufte Popcorn, baute ab und auf. „Das erste, was ich gelernt habe, war, dass es im Zirkus keinen Feierabend gibt. Das geht auch gar nicht, weil man immer unterwegs ist und von einer Stadt in die andere zieht. Aber es ist eine Familie, wie man sie sich nur wünschen kann, wo jeder alles macht.“
Der Kontakt zum Cirkus Voyage besteht bis heute. Immer wenn er in Berlin gastiert, hilft Lino Friese seinen ehemaligen Kollegen aus. Zurück in Kleinmachnow widmete sich Lino Friese seiner Diplomarbeit. Es war die Geburtsstunde von Lino Frieses Circus Varieté, einer Show, die Elemente von Zirkus und Varieté vereint. „Typisch für den Zirkus ist zum Beispiel der Clown. Er muss alle Generationen, vom Kleinkind bis zu den Großeltern, überzeugen können“, erklärt Lino Friese. „Und für das Varieté ist es der Zauberer. Beide Unterhaltungsformen haben aber gemeinsam, dass sie die ganze Familie ansprechen. “ Lino Friese schaffte das Unmögliche. Aus dem Stand, stellte er ein Program zusammen für daß er große Namen der Zirkus und Unterhaltungswelt gewinnen konnte. „Manchmal muß man auch Glück haben.
Im Flugzeug lernte ich Semen Shuster kennen, den lustigen Clown Housch-ma-Housch. Er trat vor Prinzessin Stephanie von Monaco auf, die Schirmherrin des Zirkusfestes ist.“ Lino Friese konnte ihn für seine Show gewinnen, obwohl es sich „nur“ um ein Schulprojekt handelte und der Star-Clown noch nie etwas von Kleinmachnow gehört hatte. Kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie feierte Lino Frieses Abschlussarbeit in den Neuen Kammerspielen Premiere. Die Resonanz war überwältigend und 2022 folgte eine erfolgreiche Fortsetzung. Das machte Lino Friese Mut, eine noch anspruchsvolelre Show für den Jahresanfang 2024 zu planen.
Am 13. und 14. Januar war es soweit – alle Vorstellungen des Lino Frieses Circus Varietés waren ausverkauft. Das Programm liest sich wie das Who is Who der Zirkuswelt: Michael Ferreri aus Spanien, der mit 15 Einträgen im Guinness-Buch der Rekorde als schnellster Jongleur der Welt gilt,
das preisgekrönte Artistentrio „Bello Sisters“, Gewinnerinnen der amerikanischen Supertalent-Show „America’s Got Talent’“ und Lieblinge von Heidi Klum oder Starclown André Broger aus der Schweiz. Lino Friese hat alles organisiert – die Künstler gebucht, die Verträge ausgehandelt, die An- und Abreisen abgestimmt, die Hotels gebucht und die Gagen bezahlt. Das kostete viele Monate Arbeit und nicht wenige Reisen, zum Beispiel zum Internationalen Zirkusfestival von Monte Carlo, das alljährlich im Fürstentum Monaco stattfindet und als Weltmeisterschaft der Artistik gilt. „Es geht mir nicht in erster Linie ums Geld, sondern um die Freude, die so ein Auftritt bereiten kann. Und natürlich kostet es auch etwas. 60 Prozent der Einnahmen werden für die Gagen der Künstler verwendet. Und dann gibt es natürlich noch viele Nebenkostenkosten.“ In den Wochen vor dem großen Showwochenende packt die ganze Familie Friese mit an. Während der Vater Programmhefte verkauft, macht die Mutter Popcorn. Lino Friese klebt derweil Plakate. „Ich glaube, dass die Shows so schnell ausverkauft waren, weil die Leute das Besondere und Ungewöhnliche hautnah erleben wollen. Natürlich kann man sich viele ausgefallene Sachen auf YouTube oder anderen sozialen Medien anschauen, aber nichts kann das Gefühl ersetzen, dabei gewesen zu sein.“
Gleichzeitig arbeitet Lino Friese auch als Stage Manager im Friedrichstadt-Palast Berlin – der größten Theaterbühne der Welt. Er ist unter anderem dafür verantwortlich, dass das Grundkonzept der Show und die Ideen des Regisseurs jeden Abend genau umgesetzt werden und begleitet alle Proben. Außerdem hat er am 1. Februar seine zweijährige Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann begonnen. „Für mich ist klar, dass ich in der Bühnenwelt bleiben möchte. Wo genau ich in zehn Jahren sein werde, kann ich heute noch nicht sagen. Schön wäre es, irgendwann ein eigenes Zirkuszelt zu haben. Am liebsten natürlich in Kleinmachnow. Hier gibt es einfach schon das perfekte Publikum: viele Kinder und jung gebliebene Erwachsene. Es gibt ja diesen Spruch – ein Clown, der mit dem Zirkus in die Stadt kommt, bringt den Menschen mehr Gesundheit als eine Karawane voller Medikamente. Das vermag nur der Zirkus!“
Foto: Lino Friese