Die Opfer nicht vergessen –Sieben neue Stolpersteine in Teltow
Mehr als tausend Stolpersteine erinnern in Brandenburg an Menschen, die während der NS-Zeit verfolgt, ermordet, deportiert oder vertrieben wurden. Am 6. März verlegte der Künstler Gunter Demnig, Initiator der Aktion Stolpersteine, an sechs Orten in Teltow weitere Stolpersteine.
In der Stadt Teltow wurden in den vergangenen Jahren 26 Stolpersteine zur Erinnerung an Opfer des Naziregimes verlegt. Nach umfangreichen Recherchen und Vorarbeiten der Geschichtswerkstatt Teltow wurden am Dienstag sieben weitere Stolpersteine an sechs Orten verlegt für: Johann Fiolka in der Mainstraße 5, Reinhold Böttcher im Striewitzweg 26, Richard Homann und Otto Keßler in der Walther-Rathenau-Str. 4, bzw. 17, Frieda und Hermann Lucke in der August-Bebel-Straße 16 und Auguste Fischer in der Elsterstraße1. Gunter Demnig, der Initiator der Aktion, verlegte die Stolpersteine persönlich. Der Kölner Künstler hat bereits über 30.000 Stück in Deutschland und anderen europäischen Ländern eigenhändig verlegt. Die Stolpersteine werden in Handarbeit hergestellt, denn dies, so Demnig, stehe im Gegensatz zur maschinellen Menschenvernichtung in den Konzentrationslagern. An diesem Tag sind es 13 Stück, die er an verschiedenen Adressen in Kleinmachnow und Werder einlässt. Stolpersteine werden immer vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer eingelassen. Demnigs Intention ist es unter anderem, den Opfern des Nationalsozialismus, die in den Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden, ihre Namen zurückzugeben. Das Bücken beim Lesen der Texte auf den Stolpersteinen soll eine symbolische Verbeugung vor den Opfern sein. Mit der Markierung der „Tatorte der Deportationen“, die oft mitten in dicht besiedelten Gebieten liegen, wird zugleich die Schutzbehauptung mancher Zeitzeugen in Frage gestellt, von den Deportationen nichts mitbekommen zu haben. Trotz des Begriffs „Stolpersteine“ geht es dem Künstler nicht um das eigentliche „Stolpern“, denn man stolpert nicht und fällt hin, sondern „man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen“, so Demnig.
Zahlreiche Schülerinnen und Schüler der Grace-Hopper-Gesamtschule und des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Teltow nahmen an der Aktion am Dienstag teil. Sie legten Blumen an den Gedenkorten nieder und stellten die Biografien der im Dritten Reich Verfolgten und Ermordeten vor.
Der Kaufmann Reinhold Böttcher wurde 1903 auf der Insel Usedom geboren. Nach Verbüßung einer Strafe wegen Verstoßes gegen § 175 (Homosexualität) kam er im April 1938 nach Teltow. Er wohnte im Striewitzweg 26, wo er sich ein Zimmer mit einem Arbeiter teilte. Beide fanden Arbeit bei der Baufirma Klammt, wo auch der 18-jährige Bauarbeiter Arthur Rybach arbeitete. Nach einem Kneipenbesuch bei Lindemann nahmen sie den obdachlosen jungen Mann mit nach Hause. Vor Gericht sagte Rybach aus, dass es dabei zu Annäherungsversuchen gekommen sei, er traf Böttcher später noch zweimal, wobei dieser sich ihm erneut sexuell genähert haben soll. Im August 1938 zeigte Rybach Böttcher bei der Polizei an. Böttcher selbst bestritt die Annäherungsversuche. Das Gericht stufte ihn jedoch als Wiederholungstäter ein. Seine knapp zweijährige Haftstrafe verbrachte er zunächst im Berliner Gefängnis, bevor er im Januar 1939 in das Zuchthaus Brandenburg-Görden und im Februar 1939 in das KZ Börgermoor im Emsland kam, aus dem er im Juni 1940 entlassen wurde. Seine nächste Spur findet sich in einer Zugangsliste des KZ Sachsenhausen vom Dezember 1940, offenbar war er in „Schutzhaft“ genommen worden. Am 11. Mai 1941 unterschrieb er den Aufnahmeschein des Konzentrationslagers Groß-Rosen in Niederschlesien. Ein knappes Jahr später starb Reinhold Böttcher im Alter von nur 39 Jahren. Im Totenbuch ist als Todesursache Gehirnembolie vermerkt.
Hermann Lucke, geboren am 22. Januar 1899 in Blumberg, Neumark, wohnte mit seiner Frau Frieda, geboren am 19. Juni 1903 in Schönow als Frieda Hennig, in der Emsstraße 16 in Teltow. Lucke arbeitete als Bauhilfsarbeiter in Lichterfelde. Am 4. August 1933 wurde er in Teltow unter dem Verdacht der „Verbreitung kommunistischer Schriften und Vorbereitung zum Hochverrat“ verhaftet und in das KZ Oranienburg überführt. Seine Frau wurde bereits am 26. Juli verhaftet und wegen Verbreitung kommunistischer Schriften und Hilfe für “Schutzhäftlinge” im Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin inhaftiert. Am 1. November wurde sie in das KZ Moringen eingeliefert. Am 20. Oktober 1934 erging das Urteil gegen das Ehepaar: Hermann wurde zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus, Frieda zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Anrechnung der Untersuchungshaft wurde er im Februar 1934 aus Luckau, sie vermutlich im Juli 1935 aus dem KZ Moringen entlassen.
Richard Homann wurde am 21.8.1894 in Teltow geboren. Nach seiner Ausbildung zum Zimmermann arbeitete er auf verschiedenen Baustellen. Im Ersten Weltkrieg diente er als Soldat und war seit 1915 mit der Arbeiterin Anna Luise Dräger verheiratet. Nach dem Krieg wurde er Mitglied der KPD und hatte 1925 ein Mandat in der Stadtverordnetenversammlung von Teltow. Seit 1928 wohnte er in der Walther-Rathenau-Straße 4. Ende der 20er Jahre betrieb er in der Berliner Straße 4 ein Konsumgeschäft, das preiswerte Lebens- und Haushaltsmittel für Arbeiter anbot. 1929 trat er aus der KPD aus und wurde Stadtverordneter für die SPD. Immer wieder setzte er sich für ein Bündnis mit den Kommunisten gegen die Nationalsozialisten ein. Nach deren Machtübernahme wurde Homann im März 1933 als „Schutzhäftling“ im KZ Oranienburg inhaftiert. Im August 1933 wurde er freigelassen. Nach dem gescheiterten Hitlerattentat vom 20. Juli 1944 wurde er im August mit anderen Sozialdemokraten im KZ Sachsenhausen interniert. Dank der Beziehungen seines Bruders Fritz, der der NSDAP angehörte, zum Teltower Bürgermeister Kurt Pilling kam er im September wieder frei. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Teltow verlor er sein Konsumgeschäft, weil er nicht bereit war, für die sowjetische Militäradministration Sozialdemokraten zu bespitzeln. Da er in der DDR ein neues totalitäres Regime sah, floh er 1949 nach West-Berlin. Später ließ er sich in Holzlar bei Bonn nieder, wo eine seiner drei Töchter lebte. Der Rest der Familie folgte ihm. Wegen fehlender Nachweise wurde er im Westen nicht als politischer Flüchtling anerkannt. Richard Homann verstarb am 9. Januar 1970.
Als Ergebnis einer langen Recherchearbeit fand im Bürgerzentrum der Stadt Teltow im Januar 2011 die Ausstellung „Sie waren unsere Nachbarn – Jüdisches Leben in Teltow bis 1945“ statt, die erste wissenschaftlich fundierte Darstellung der Judenverfolgung an diesem Ort. Seit Mai 2008 hatte eine von den Teltower Stadtverordneten ins Leben gerufene und von der Historikerin Dr. Gabriele Bergner geleitete AG Stolpersteine zu jüdischen Mitbürgern geforscht, die von den Nationalsozialisten entrechtet, verfolgt und ermordet worden waren. 20 erstellte Biografien bewiesen, dass der Antisemitismus hier nicht harmloser als anderenorts war. Um auch in Teltow dauerhaft an das jüdische Leben zu erinnern, wurden am 07. Oktober 2011 vom Kölner Künstler Gunter Demnig die ersten 16 Stolpersteine verlegt. Ein erinnertes Opfer ist zum Beispiel die Kaufmannswitwe Ernestine Gumpert, die in der heutigen Potsdamer Straße 68 wohnte und ab 1933 die Drangsalierungen des NS-Regimes zu spüren bekam. Ein nichtjüdisches Ehepaar beschützte und versorgte sie. Im Jahre 1943 wurde sie nach Theresienstadt und ein Jahr später nach Auschwitz deportiert, wo sie umkam.
Zwei weitere Stolpersteine befinden sich heute in der Kleiststraße 13 und erinnern an den Kartoffelhändler Walter Zehden (1882 – 1941) und den Kartoffelflockenfabrikanten Martin Baumann (1881 – 1941). Zehden, der in einer Mischehe stand, wurde nach der Reichspogromnacht im November 1938 verhaftet und für kurze Zeit ins KZ Sachsenhausen gebracht. Im Dezember 1941 starb er im Jüdischen Krankenhaus in Berlin an Gallenblasenkrebs. Dessen Geschäftspartner Baumann wohnte seit 1938 in der Kleiststraße und kam im Jahre 1941 im KZ Dachau zu Tode. An der Ruhlsdorfer Grenze liegt in der heutigen Ruhlsdorfer Straße 100 (ehemals Teltower Straße 20) vor dem Teltomat-Gelände ein Stolperstein für den aus Berlin stammenden Automobilkonstrukteur Ernst Valentin (1874 – 1950). Als leitender Ingenieur arbeitete er in deutschen und ausländischen Autofabriken und brachte u. a. einen Lastkraftwagen mit einem Vierzylindermotor hervor. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg stand er in Teltow der Flugübungsfeld Teltow GmbH zur Förderung des Motorfluges vor. Nach der Zerstörung seiner Existenzgrundlage wanderte er 1939 nach Brasilien aus, wo er Drehbänke herstellte. Schließlich starb er in São Paulo an einem Gehirnschlag. Was Teltow-Seehof betrifft, so kann man in der Max-Sabersky-Allee 4 vor der einstigen Villa des Möbelfabrikanten Wilhelm Bursch zwölf Stolpersteine finden. Sie erinnern an Mitglieder der miteinander verwandten Familien Glaser, Dreyfuß und David. Hervorzuheben sei hier das Ehepaar Curt (1873 – 1952), Apotheker, und Hedwig Glaser (1882 – 1975), geborene Bursch, welches die Villa seit 1932 bewohnte. Nachdem es aus seinem Haus vertrieben worden war, konnte es schließlich am 05. Juni 1941 über Portugal nach New York fliehen.
Am 28. November 2013 gedachte die AG Stolpersteine zehn anderen Opfern wie z. B. August Förster (1890 – 1954) in der Lichterfelder Allee 4 und Oskar Pollner (1885 – 1945) im Striewitzweg 49. Förster war in den 1920er Jahren in Teltow Stadtverordneter und Vorsitzender der KPD-Ortsgruppe. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde er wegen der Verbreitung von Widerstandsflugblättern verhaftet und im KZ Oranienburg interniert. Nach Kriegsende war er kurzzeitig stellvertretender Bürgermeister in Teltow und trat für die Gründung der SED ein. Dagegen überlebte der Porzellandreher und Sozialdemokrat Pollner die NS-Zeit nicht. Er war seit 1929 Teltower Stadtverordneter und unbesoldeter Stadtrat und leistete wie Förster Widerstand mit Druckschriften. Nach dem gescheiterten Hitlerattentat wurde er im August 1944 festgenommen und ins KZ Sachsenhausen überführt. Gesundheitlich stark angeschlagen, verliert sich seine Spur in der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges im KZ Bergen-Belsen. Ferner konnte an das Euthanasieopfer Emma Wahlsdorf aus der Breiten Straße 30 erinnert werden. Dieses Hausmädchen war seit 1903 mit Unterbrechungen wegen einer geistigen Erkrankung in der Brandenburgischen Landesirrenanstalt in Eberswalde untergebracht. In den Augen der Nationalsozialisten galt sie als lebensunwertes Leben. Aufgrund der Euthanasiemaßnahmen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges gelangte sie im Juli 1940 in die Tötungsanstalt in Brandenburg-Görden, wo sie kurze Zeit später durch das Einatmen von Kohlenmonoxid starb. Dass sogar Menschen wegen staatsfeindlicher Äußerungen denunziert und eingesperrt wurden, zeigt das Schicksal Auguste Neumann (1902 – 1945) aus der Gunterstraße 16 im Ortsteil Sigridshorst. Sie wurde 1944 wegen Propagierung der gewaltsamen Beseitigung der NS-Staatsführung und Wehrkraftzersetzung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Letztendlich starb sie am 08. Februar 1945 im Zuchthaus Cottbus an einer Lungenentzündung und Kreislaufschwäche.