Männerchöre in Teltow – Singen für die Gesundheit
Kaiser Wilhelm II. war ein großer Fan von Männerchören – doch hätte er gewusst, worüber sich die Chormitglieder in den Hinterzimmern der Gasthäuser unterhielten, wäre er wohl nicht so begeistert gewesen, denn viele von ihnen waren in der Arbeiterbewegung aktiv. Trotz wechselhafter Geschichte und politischer Instrumentalisierung (vom Kaiser über die Nazis bis hin zur SED) haben sich Männerchöre bis heute gehalten, nicht zuletzt deswegen, weil Singen gesund ist und einfach Spaß macht – allerdings hängen Fortbestand und Erfolg von vielen Faktoren ab.
Zu Beginn der Industrialisierung, Mitte des 19. Jahrhunderts, gab es für die immer zahlreicher werdenden Arbeiter keine legale Möglichkeit, Versammlungen abzuhalten. Polizei und kaiserliche Zensur wachten misstrauisch und streng über die Untergebenen. Auf der anderen Seite gab es im Rahmen der Aufklärung eine intellektuelle Bewegung, die sich für die Bildung und das politische Bewusstsein der Unterschicht engagierte. Man versuchte, soziale und wirtschaftliche Verbesserungen für die Arbeiter durchzusetzen. Auch bei den Kirchen regte sich das christliche Verantwortungsbewusstsein, sie sahen im gemeinsamen Gesang eine Möglichkeit, die sozial benachteiligten Gemeindemitglieder zu stärken, und so bildeten sich damals viele Kirchenchöre, die den Leuten etwas Abstand vom mühseligen Erwerbsleben boten. Außerhalb der Kirchen waren es Musiker wie Carl Friedrich Zelter oder Friedrich Silcher, die den unbegleiteten Männerchor favorisierten (im Gegensatz zum gemischten vierstimmigen Kirchenchor nur mit zwei Tenor- und zwei Bassstimmen), der mit volkstümlichem und patriotischem Liedgut die idealisierende Geisteshaltung der Romantik zum Ausdruck brachte. Ebenso stand aber auch die politische und soziale Aufklärung im Mittelpunkt, die besonders bei den reinen Arbeiterchören eine zentrale Rolle spielte, mit denen sich die neu gegründeten Männerchor-Vereine organisatorisch zusammenschlossen. So wurden die Hinterzimmer deutscher Gasthäuser und Kneipen bald zu beinahe konspiratorischen Versammlungsorten, an denen man nach den Proben bei einem Glas Bier gern heftig diskutierte – lebendige Geburtsstätten deutscher Demokratie und Debattenkultur. Auch in den Orten Stahnsdorf (ab 1883) und Teltow (ab 1884) lebte diese Tradition.
Dass man über die Männerchöre viele Leute erreichte, machte man sich bald auch von staatlicher Seite aus zunutze. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. stand der Arbeiterbewegung kritisch gegenüber, er sah im strammen Männergesang eher eine Ausdrucksform patriotischer Gefühle. Warum nicht die singenden Massen zu einem Jubelchor für Monarchie und Kaisertreue instrumentalisieren? Und tatsächlich war es ja nicht weit von der Heimatromantik hin zu Lobeshymnen auf Kaiser und Vaterland. Der Wohlklang kräftiger Männerstimmen strahlt ja schon von Natur aus Stärke und Zusammenhalt aus – genau das, was eine wehrhafte Armee braucht, und eben auch das, was den deutschen Militarismus der Kaiserzeit verkörperte. So wurde im Auftrag Wilhelms II. (und unter musikalischer Mitwirkung von Engelbert Humperdinck, der auf dem Südwestkirchhof begraben liegt) ein „Kaiserliederbuch“ herausgegeben – voll von patriotischen Liedern, deren Texte aus heutiger Sicht zwischen Kitsch und Peinlichkeit schwanken. Ähnlich waren auch die Texte, die Männerchöre zu Zeiten des Nationalsozialismus und der DDR zu singen hatten: Von Lobeshymnen auf Hitler, Lenin oder Stalin über Texte, die staatliche Dogmen unterstützten, bis hin zu Kampfeshymnen. Freiheitliche Diskussionen in den Hinterzimmern waren zu diesen Zeiten natürlich tabu und durch staatliche Überwachung sanktioniert.
Nur in den Jahren der Weimarer Republik konnten sich Chöre frei entfalten, und die von Sozialdemokraten, Kommunisten und Künstlern wie Hanns Eisler und Bertolt Brecht unterstützte Tradition der Arbeiterchöre lebte wieder auf. In der DDR gab es auch Werkschöre der Arbeiter, aber da ging es thematisch eher um Planerfüllung sowie Treue zur Partei und zur Sowjetunion. All das kann man gut anhand der Notensammlung des ehemaligen Stahnsdorfer Männerchores nachvollziehen, die im Heimatmuseum ausliegt. Georg Lemke, ein langjähriges Chormitglied, zeigte uns das Archiv, in dem die Traditionen des regionalen Vereinslebens bewahrt liegen. Nach der Wende hatte man wieder begonnen, sich auf Volks- und Heimatlieder zu besinnen, aber auch moderneres Liedgut mit einbezogen. Auftritte in der Kirche und bei Dorffesten, aber auch gemeinsame Chorfahrten vermittelten schöne Erfolge und unvergessliche Erlebnisse. Schade, dass sich der Verein aufgrund des Mangels an Nachwuchs und professioneller Leitung auflösen musste.
Ganz anders beim Teltower Männerchor „Frohsinn“: Wie der Name schon sagt, will und kann man hier positiver in die Zukunft blicken. Eine engagierte und fachkundige Chorleiterin, aber auch motivierte Chorsänger im Alter von 13 bis 80 Jahren sorgen mit ihren überwiegend aktuellen Liedern für Spaß und gute Laune, wie man zuletzt beim Tag der offenen Höfe erleben konnte, wo sie die Zuhörer mit ihrer lebendigen Performance begeisterten. Unter der Leitung von Dr. Isabella Karpinski – Forscherin am Kleinmachnower Julius-Kühn-Institut und ausgebildete Kirchenmusikerin – hat sich der Chor zu einem modernen Ensemble entwickelt. Einheitliche Kleidung sorgt für ein gutes Erscheinungsbild und regelmäßige Stimmbildung für einen besseren Klang. Solche Dinge sind wichtig für die Außenwirkung, aber auch für die Motivation der Chormitglieder, die darüber entscheidet, ob sich ein Chor dauerhaft hält. Im Gegensatz zum Stahnsdorfer Männerchor, der schon 2008 beim 125-jährigen Jubiläum unter Nachwuchsmangel litt, schaut man in Teltow, wo man 2024 das 150-jährige Bestehen feierte, optimistisch in die Zukunft, zumal man neue Mitglieder gewinnen konnte.
Vielleicht spricht sich auch mittlerweile herum, dass neuste Forschungsergebnisse dem Chorgesang ausgesprochen positive Effekte für Körper und Geist bescheinigen. Regelmäßiges Singen soll unter anderem Folgendes bewirken:
Verbesserung der Atmung, der Körperhaltung und der Muskelspannung
Regulierung der Herzfrequenz
Singen ist ein wirksames Schmerzmittel
Es verbessert das Immunsystem und wirkt gegen chronische Krankheiten
Das Auswendig-Singen verbessert das Gedächtnis und beugt Demenz vor
Singen baut Stress ab, verhindert Depressionen und wirkt positiv auf die Psyche
Es setzt Glückshormone frei (Endorphine, Dopamin, Serotonin, Oxytocin)
Gemeinschaftliches Singen verbessert das soziale Wohlbefinden
Da es sich hier um einen tatsächlich wissenschaftlich nachgewiesenen Nutzen handelt, sollte sich eigentlich jeder gesundheitsbewusste Mensch einem Chor anschließen. Wie viele Medikamente und teure Behandlungen könnten so eingespart werden!
Fotos: Mario Kacner/Karpinski