GeschichteKleinmachnowKulturUnterhaltung

Pointiert war sein Strich – Nachruf für Harald Kretzschmar

Am 28. Juni ist der Karikaturist, Grafiker und Feuilletonist Harald Kretzschmar (geb. 23.5.1931) in seinem Haus in Kleinmachnow verstorben. Seiner Wahlheimat, in der er seit 1956 lebte, hat er insbesondere mit seinem Buch „Paradies der Begegnungen: Der Künstlerort Kleinmachnow“ ein Denkmal gesetzt. Über viele Jahre hat Harald Kretschmar den Lokal.report mit seinen Beiträgen bereichert. Er wird am 2. August auf dem Südwestkirchhof beigesetzt. Ein nachruf von Axel C.W. Mueller.

Ein Karikaturisten-Leben endet nach 93 Jahren ganz abrupt. Harald Kretzschmar arbeitete bis in sein letztes Lebensjahr, wohl bis an seinem letzten Lebenstag. Noch im hohen Alter schaut er kritisch auf diese Welt, die er erst mit den Augen des Karikaturisten, dann als Autor und Rechercheur betrachtet hat. Er kannte viele Intellektuelle und Künstler aus Kleinmachnow und hat mit dem Buch „Paradies der Begegnungen“ vielen von ihnen ein Denkmal gesetzt. Beim letzten Treffen wenige Tage vor seinem Tode galt das Gespräch der aktuellen politischen Situation und des Umgangs miteinander. Unser Handeln sollte nicht von Emotionen, sondern im Sinne eines vorausschauenden faktenbasierten Denkens ablaufen.

Ein Eintrag in ein Gästebuch von 1964 in Born auf dem Darß, das Axel C. W. Mueller zufällig vor drei Jahren dort fand und fotografierte, das zeigt, wie zugewandt H. K. mit seiner Familie diesen Urlaub vor 60 Jahren aufnahm.

Harald Kretzschmar wurde am 23. Mai 1931 in Berlin-Steglitz geboren und verbrachte seine Kindheit in Dresden, wo er an der Kreuzschule sein Abitur ablegte. Danach ging er an die Hochschule für Grafik und Buchkunst nach Leipzig, wo er auch Kontakt zu der berühmten Fotografin Evelin Richter, Jahrgang 1930, hatte, die aber mit der Fotografie eine ganz andere Kunstrichtung verfolgte. Er kommt 1956 nach Kleinmachnow und findet im Hochwald 7 ein Zimmer. 1959 heiratet er seine Frau Gisela, die ihm drei Kinder zur Welt bringt und hat fortan bis an sein Lebensende im Heideweg 33 seinen Wohnsitz. Ganze 65 Jahre hat er in diesem von der Gewog beschütztem Haus gelebt. Als freischaffender Künstler lebte Harald K. nicht im Reichtum, auch wenn viele Aufträge von Eulenspiegel und Neuem Deutschland (ND) ihm ein auskömmliches Einkommen boten. Der Spagat zwischen Systemanpassung und frecher Karikatur beherrschte seinen Alltag. Eine Karikatur von Walter Ulbricht hätte ihn seinerzeit fast den Job gekostet, wenn der Staatsratsvorsitzende den Daumen nach unten gezeigt hätte. Die Karikaturen über die Kleinmachnower im Kulturspiegel von 1956 zeigen, dass er den braven, selbstgefälligen Bürger im kritischen Blick hatte und die Provinzialität dieses DDR-Kleinmachnow mit vielen SED-Genossen und NVA-Kadern kannte.

Harald K. war keine Revolutionär, keine Aufbegehrender. Er machte seinen Weg als Karikaturist in der DDR und versuchte eine Familie mit drei Kindern als Freiberufler zu ernähren. Nach dem Mauerbau 1961 engagierte er sich im Joliot-Curie-Klub, der gegründet worden war, um den Kleinmachnower Intellektuellen einen Ausgleich für das verkehrstechnisch nun weit entfernte Berlin anzubieten. Nach der politischen Wende und der Wiedervereinigung Deutschlands musste er sich mit knapp 60 Jahren ein neues Wirkungsfeld suchen, da die Aufträge für ND und Eulenspiegel wegbrachen. Er fand es in der Kultur- und Heimatgeschichte dieses Ortes, in dem mit fortschreitender Siedlungsentwicklung seit den Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts viele Künstler und Intellektuelle Wohnung fanden. Hier baute sich nach dem Erfolg der Dreigroschenoper Kurt Weill 1932 ein Haus, hier siedelten bereits 1909 Heinrich und Julie Braun in einem Haus, das später als Vogelstein-Villa und private Förderschule für behinderte Kinder eine Sonderstellung besaß. Nein, Harald Kretzschmar erschloss für uns Nachgeborene die Geschichte der hauptstadtnahen Siedlung, die dann wenig später durch Mauer und Stacheldraht von drei Seiten über Jahrzehnte von der DDR-Republik isoliert war. So bekannte Schriftsteller, wie Christa und Gerhard Wolf kamen 1962 hierher und verließen nach Jahren den Ort wieder, um nicht eingegrenzt zu sein. Harald Kretzschmar erforschte nicht nur das Leben der Künstler und Schriftsteller, auch die Regisseure, Naturwissenschaftler und Politiker fanden sein Interesse und so sind drei dicke Bücher über bedeutende Persönlichkeiten aus Kleinmachnow entstanden, die sich zu lesen lohnen. Doch nicht nur die Vergangenheit, auch die aktuelle Situation im Ort bewegte den Verstorbenen. So unterstützte er 1998 die Initiativen zur Gründung der Agenda-Bewegung in Kleinmachnow und entwarf eine Postkarte für die Protestbewegung gegen der Schleusenausbau.

Der junge Kretzschmar 1949 im Alter von 18 Jahren.

Eine große Persönlichkeit ist von uns gegangen, gewürdigt mit einem Eintrag ins Goldene Buch der Gemeinde. Das Karikatur-Museum in Greiz bewahrt einen Teil seines Werkes und stellt es aus, auch das Staatsarchiv in Berlin hat Interesse an seinem Werk gezeigt. Aber wie dies alles sich nun nach seinem Tode entwickeln wird, ist noch nicht entschieden.

Wenn man über Harald Kretzschmar nachdenkt, überkommt einen der Wunsch, dass unsere Geschichte doch mehr strahlende Momente haben möge als die vielen dunklen Episoden, die die Zeit des Nationalsozialismus und die Stagnation der DDR-Zeit für uns gebracht haben. Und nun nach mehr als 30 Jahren deutscher Einheit hilft ein Blick in die gemeinsame Vergangenheit, die Entwicklung der Gemeinde objektiv und kritisch zu bewerten und dann fällt das Urteil so aus, dass wir Nachgeborenen nicht alles falsch gemacht haben und doch keinen Grund haben, mit dem Erreichten zufrieden zu sein.

Fotos: Axel C.W. Mueller / Archiv