BER eröffnet, kaum Flugverkehr – Lärmproblem erledigt?
Nach einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts fühlen sich die Deutschen viel häufiger von Verkehrslärm belästigt als von Fluglärm, aber sie empfinden Fluglärm trotzdem als belastender. Da verwundert es nicht, dass der Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER) in unserer Region gleich mehrere Bürgerinitiativen gegen Fluglärm auf den Plan gerufen hatte. Nun ist der BER eröffnet, die Flugrouten wurden höchstrichterlich bestätigt, Corona hat den Flugverkehr um mehr als 90 Prozent reduziert – heißt das, dass sich das Problem für die Bürgerinitiativen damit erledigt hat?
Keineswegs, so ist von den Beteiligten zu hören. „Zu tun gibt es genug“ meint die Vorsitzende der Teltower Initiative, Antje Aurich-Haider. Auch Matthias Schubert, der Vorsitzende des Kleinmachnower Vereins, sieht für die Zukunft noch viel Handlungsbedarf, stellt jedoch ernüchternd fest: „Stell´ Dir vor, der Flughafen eröffnet, und keiner fliegt!“ , und er fügt hinzu: „Momentan interessiert es keinen, aber das dürfte sich in wenigen Jahren ändern.“
Dabei ist das Thema „Fluglärm“ nicht das einzige Problem, mit dem sich die Vereine – ebenso wie die Bürgerinitiative aus Stahnsdorf – in der Vergangenheit beschäftigt haben. Bei den Befürchtungen bezüglich der möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen spielt auch der Feinstaub eine Rolle. Die meisten Sorgen macht man sich jedoch hinsichtlich der gestörten Nachtruhe. Antje Aurich-Haider, die 430 Mitglieder aus Teltow vertritt, hat dazu eine klare Meinung: „Für partielle wirtschaftliche Interessen wird der Schlaf von 100.000 Leuten ruiniert!“ Wegen ähnlicher Sorgen hatte der Kleinmachnower Verein vor zwei Jahren sogar eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht, die aber bislang noch nicht verhandelt oder entschieden wurde. Dass die Klage jüngst angenommen wurde, lässt jedoch hoffen. Ein striktes Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr möchte man unbedingt durchsetzen, also eine Erweiterung der bestehenden Regelung, die besagt, dass es am BER zwischen 0 und 5 Uhr keine Linienflüge geben darf und zusätzlich festlegt: „Von 23.30 bis 24 Uhr und von 5 bis 5.30 Uhr dürfen grundsätzlich keine planmäßigen Flüge stattfinden.“ Ein diesbezügliches Volksbegehren war zwar erfolgreich, wurde aber bisher politisch nicht umgesetzt, weil es quasi nur Aufforderungscharakter hat. Das kritisieren die Bürgerinitiativen vehement und wollen weiterhin erreichen, dass am BER strengere Regeln als beispielsweise im weit höher belasteten Umfeld des Frankfurter Flughafens gelten. Auch unterstützen sie die Klage von Blankenfelde-Mahlow gegen den Geradeaus-Abflug zu Tagesrandzeiten.
Als wichtige Argumente für die Durchsetzung eines weitreichenden Nachtflugverbots gelten für dessen Verfechter unter anderem, dass Herz- und Kreislauferkrankungen bei nächtlichem Fluglärm zunähmen und dass die Schulleistungen beeinträchtigt würden. Nun ist es hier wie bei vielen anderen gesundheitlichen Faktoren, die wissenschaftlich untersucht wurden: Manche Erhebungen bestätigen das, andere nicht. In mehreren Studien und Metastudien der letzten Jahre konnte in verschiedenen Ländern kein einheitlicher, signifikanter Zusammenhang mit dem Auftreten von Herzinfarkten oder Schlaganfällen hergestellt werden, wohl aber eine eindeutige Korrelation dieser Erkrankungen mit Straßen- bzw. Verkehrslärm. Schwierig ist dabei eine genaue Trennung von objektiver Belastung und subjektiver Belästigung, und das spielt ebenfalls bei der Beurteilung der Schlafqualität eine Rolle. Aber auch bei den möglichen Beeinträchtigungen der Schulleistung gibt es unterschiedliche Ergebnisse, so lässt laut dieser Studien die Leseleistung von muttersprachlichen Schülern bei empfundener Fluglärmbelästigung nach, kaum aber bei Schülern ausländischer Herkunft – was auch immer das bedeuten mag. Zu alledem ist die Lärmempfindlichkeit auch bei der Bevölkerung je nach Alter und Lebensgewohnheiten unterschiedlich ausgeprägt, was eine objektive und ausgewogene Argumentation in der Öffentlichkeit oder vor Gericht schwierig macht. Dazu kommt, dass sich viele Leute bei der Beurteilung von Nähe und Höhe eines Flugzeugs täuschen und glauben, Flugrouten würden nicht eingehalten, auch wenn es nicht zutrifft, wie ein aktueller Fall aus Kiekebusch südöstlich des BER zeigt.
Ähnliches gilt auch bei der Luftverschmutzung, hier speziell beim Ultrafeinstaub, der bereits am Flughafen BER wissenschaftlich erfasst wird. Der Bürgerinitiative aus Teltow reicht das aber nicht, sie will daher eigene Messungen durchführen – was aber gar nicht so einfach ist, denn die Geräte müssten genauso aufwändig kalibriert werden wie am Flughafen, und es müsste die gleiche teure Messapparatur eingesetzt werden, um Werte objektiv vergleichen zu können. Außerdem gibt es für Ultrafeinstaub noch gar keine offiziellen Grenzwerte oder standardisierte Festlegungen, was die Beurteilung erschwert. Fest steht lediglich, dass die bisher direkt auf dem Vorfeld des Flughafens gemessenen Werte nicht höher als an städtischen Straßen oder landwirtschaftlichen Flächen sind. Zum Vergleich: In Zigarettenqualm wurde fünfmal mehr Ultrafeinstaub als in der Flughafen-Luft, in der Küche am Toaster fünfzigmal mehr und im Pekinger Stadtzentrum sogar 150mal mehr gemessen.
Dass eine Reise mit dem Flugzeug klimaschädlicher ist als die Nutzung anderer Verkehrsmittel liegt jedenfalls nicht am Feinstaub, sondern an den CO2-Emissionen, zu denen der weltweite Flugverkehr rund drei Prozent beiträgt. Doch da hofft Matthias Schubert, der Vorsitzende der Kleinmachnower Bürgerinitiative, auf technische Fortschritte wie die baldige Einführung von Kraftstoffen, die das Klima weit geringer belasten, und auch auf Flugzeuge, die noch leiser sind und weniger Kraftstoff verbrauchen. Bislang freut er sich über den Wegfall des Anflugverkehrs Richtung Tegel, der manchmal recht dicht an Kleinmachnow vorbeiführte, und natürlich betrachtet er die coronabedingte Reduktion des Flugverkehrs als erholsame Phase, für ihn allerdings nur eine „Ruhe vor dem Sturm“. Und so denkt er, dass in drei bis vier Jahren, wenn die normale Frequenz an Flügen erreicht wird, für ihn und seinen Verein wieder richtig viel zu tun sein wird. So wird er auch das Fluglärmbüro in Teltow weiter finanziell unterstützen und später mit den Kleinmachnowern (und wohl auch mit den Stahnsdorfern, deren Website momentan nur als Archiv weitergeführt wird) am Ball bleiben.
Neben all den Sorgen um mögliche Lärm- und Luftverschmutzungsfolgen gibt es bei den Aktiven auch die Sorge, dass der Flughafen zum internationalen Drehkreuz für die Luftfahrt werden könnte und dafür weiter ausgebaut wird – die Folge wären noch mehr Flugzeuge. Obwohl Verkehrsminister Scheuer sich das wünscht, sieht die Lufthansa dafür keine Perspektive, und angesichts weiterer Milliarden, die der Flughafen in den nächsten Jahren allein für den Normalbetrieb braucht, kann man wohl skeptisch sein, ob der BER jemals so rentabel wird, dass sich ein Ausbau lohnt. Für alle deutschen Flughäfen wird der Rückschlag durch die Pandemie geplante Investitionen verzögern, wenn nicht gar verhindern, meinen Luftfahrtexperten – zumal man damit rechnet, dass sich die Fluggewohnheiten nach der Krise und in Zukunft auch klimabedingt ändern werden. Die Bürgerinitiativen würden sicher aufatmen, wenn dadurch kein Flughafenausbau mehr stattfände. Bis dahin werden die Aktiven aus unserer Region weiter am Ball bleiben und versuchen, ihre Forderungen durchzusetzen. KP
Bild: https://media-ber.berlin-airport.de/de/downloads.html