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Gesteuert und ungesteuert – Die Entwicklung der Gemeinde Kleinmachnow nach der Wende

Kleinmachnow ist ein wunderbarer Ort zum Leben. Vor der Wende von drei Seiten von der Mauer umgeben lag es in einer Art Dornröschenschlaf. 1989 änderte sich das schlagartig. Von der rasanten baulichen Entwicklung von damals bis heute berichteten im Rahmen des 13. Kleinmachnower Erzählcafés Wolfgang Blasig, ehemaliger Bürgermeister von Kleinmachnow (1994 bis 2009) und Landrat im Kreis Potsdam-Mittelmark (2009 bis 2022), und Barbara Neidel, damalige Leiterin des Bauamts.

Dieser Samstagnachmittag im neuen Gemeindehaus am Zehlendorfer Damm begann erst einmal gemütlich: mit Kaffee und Kuchen. Danach nahm uns die Diplom-Ingenieurin Barbara Neidel mit ins Jahr 1992 und zeigte auf einer Karte die größten Baugebiete: Ortsteil Dreilinden, das Wohngebiet Stolper Weg und das neue Ortszentrum an der Förster-Funke-Allee. Damals, ergänzte Wolfgang Blasig, habe Kleinmachnow 11.000 Einwohner gehabt, mittlerweile sind es etwa 20.000.

Rückerstattungsansprüche

Zum damaligen Zeitpunkt gab es 4.600 Grundstücke, von denen ein Viertel nicht bebaut war, und nur zehn Prozent hingen an der Kanalisation, das heißt 90 Prozent der Bewohner hatten Sickergruben hinter dem Haus. Klaus Töpfer, damaliger Umweltminister, stellte daraufhin 500.000 DM zur Verfügung, um diese Haushalte an die Kanalisation anzuschließen. Zu DDR-Zeiten übertrug die kommunale Wohnungsverwaltung gegen einen geringen Kaufpreis den Mietern Häuser, aber auch Gebäude, die sie nur verwaltete, deren in den Westen geflüchtete Eigentümer jedoch im Grundbuch stehen blieben. Diese sogenannten Überlassungsverträge machten aus den Mietern Fast-Eigentümer der Häuser und Grundstücke.

Barbara Neidel (Mitte) und Wolfgang Blasig berichteten, wie sie Wachstum und Bautätigkeit nach 1990 in Kleinmachnow erlebten.

Im Zuge der Wiedervereinigung einigten sich beide deutsche Staaten in einer gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 über das Verfahren zur Regelung der offenen Vermögensfragen. Am 29. September 1990 verabschiedete die Volkskammer der DDR das sogenannte Vermögensgesetz. Danach galt – getreu der Vorgabe aus Bonn – prinzipiell der Grundsatz „Rückgabe vor ­Entschädigung“. Konflikte waren vorprogrammiert, denn ­einige „Westler“ erhoben nun – mehr oder weniger rabiat – Ansprüche auf ihr im Osten zurückgelassenes Eigentum. Alles in allem gingen mehr als zwei Millionen Anträge auf Rückübertragung ein.

Doch nirgendwo in den neuen Bundesländern war der Run aus dem Westen so groß wie im Berliner Villenvorort Kleinmachnow. Dort wurden knapp 70 Prozent aller „Wohneinheiten“, so das Potsdamer Amt zur Regelung offener Vermögensfragen, von Westlern beansprucht, insgesamt rund 1.800 der 3.200 Häuser des Ortes.

Eine Lösung ist gefragt

Nicht alle Ansprüche waren von Erfolg gekrönt, aber mehr als 1.000 Menschen verloren aufgrund der Rückgabeansprüche ihr Zuhause. Jedoch konnte die Gemeinde das Entwicklungsgebiet „Wohnen und Arbeiten“ direkt an der BAB 115 ausweisen, nur knapp einen ­Kilometer von der Berliner Stadtgrenze entfernt. Auf dieser Fläche waren ­Gewerbe-, Dienstleistungsbetriebe und Wohnbebauung vorgesehen, die mit unterschiedlichen Investorenmodellen realisiert werden konnten. Am Stolper Weg links und rechts der Autobahn konnten Betroffene günstig Bauland erwerben und neu bauen. Die Grundsteinlegung erfolgte 1995; es wurden zirka 700 Wohneinheiten realisiert. Heute lebt in dieser Reihenhaussiedlung teilweise schon die nächste Generation. Nicht weit entfernt liegt der ehemalige Grenzkontrollpunkt Dreilinden. ­Wolfgang Blasig erzählt von diversen Investoren mit teils obskuren Ideen für die Bebauung, zum Beispiel ­einer Riesen-Mall mit eigener Autobahnauffahrt. Allerdings hatte die Gemeinde das Zugriffsrecht, und 1993 hielten die Abrissbagger Einzug. Auf dem Areal entstand mit dem Europarc ein großes Gewerbegebiet mit Grüncharakter.

Der Rathausmarkt Kleinmachnow feierte 2024 sein 20-jähriges Bestehen.

Endlich – ein Zentrum

Im Dezember 2002 wird an der Förster-Funke-Allee der Grundstein für Kleinmachnows neues Ortzentrum gelegt. Schon am 01. April 2004 wird der zentrale Platz als „Rathausmarkt“ mit einem großen Fest eröffnet. Im Dezember können auch Verwaltung und Gemeindebibliothek dort ins neue Rathaus einziehen. Mittlerweile haben sich dort viele Geschäfte für den täglichen Bedarf angesiedelt, und der Platz ist eine echte Begegnungsstätte geworden. Mit dem „Augustinum“ stellt Blasig ein letztes großes Bauprojekt vor. Die Seniorenresidenz für gehobene Ansprüche wirbt mit ­„Stilvoll wohnen vor den Toren Berlins“. Die Investoren des Augustinums aus ­München hatten vielleicht schon eine Vorahnung vom Fall der Mauer und sahen sich schon 1988 nach passenden Grundstücken um. Kleinmachnow, von schönster Natur umgeben, aber in direkter Nähe zur Hauptstadt, schien geeignet, und so erfolgte 1994 die Grundsteinlegung. Das war eine gute Entscheidung, denn die betuchten Rentner kamen in der Regel aus West-Berlin und wollten möglichst nah ihrer alten Heimat sein. Am Schluss dieser überaus kenntnisreichen und kurzweiligen Zusammenfassung der Bautätigkeit seit der Wende ergreift Barbara Neidel noch einmal das Wort. Sie weist darauf hin, dass sie und ihre Mitstreiter immer versucht haben, mit Augenmaß zu bauen und den Charakter des Ortes trotz des enormen Zuwachses zu erhalten. Fast alle im Auditorium – und das waren überwiegend Menschen aus Kleinmachnow – konnten ihr da nur recht geben.

Kleinmachnower Erzählcafé – was ist das?

Die Veranstaltungsreihe ist ein Format der Stiftung „Kirche und Kultur im Alten Dorf“. Die Idee dazu entstand 2014, um die Geschichten der alten und neuen Kleinmachnower nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Bei Kaffee und Kuchen erzählen Bewohnerinnen und Bewohner aus den vergangenen sechs Jahrzehnten. Dabei steht jeweils ein Thema im Mittelpunkt. So begann die Reihe im Oktober 2014 mit den Erinnerungen eines Kleinmachnower Lehrers und Kantors an die Nachkriegszeit. In Folge gedachte man dem Bau der Mauer, dem Leben in der DDR, Handwerker und Selbstständige erzählten, aber auch Künstler und Arbeiter. Das 13. Erzählcafé hat sich nun der Nachwendezeit mit ihren gewaltigen Veränderungen zugewandt. Da gibt es sicher auch noch vieles weitere zu erzählen. Wir sind gespannt.

Fotos: Redaktion / Elisabeth Kaufmann