Von der Platte bis zum Zuckerbäckerstil
Ein „Siebengeschosser“ mitten in Teltow, früher einmal der Teil eines großen Industriekombinats, heute Verwaltungsgebäude der regionalen AOK-Krankenkasse. Funktionale, zweckorientierte Betonarchitektur, könnte man sagen – ebenso aber auch: architektonisch nichtssagend, langweilig, unwirtschaftlich und energetisch fragwürdig. Abriss oder Weiternutzung? Diese Frage stellt sich bei vielen Relikten der DDR-Architektur, aber die Diskussion darüber gerät schnell zu einer emotional gesteuerten Auseinandersetzung. Dabei würde etwas mehr Sachlichkeit dazu beitragen, gemeinsam Zukunftsideen zu entwickeln, ohne die Geschichte zu verleugnen.
n unserer Region finden wir noch einige architektonische Hinterlassenschaften aus der Zeit vor der Wende, besonders in Teltow. Die Stadt gehörte zu den industriellen Zentren der DDR und hatte dementsprechend einen hohen Bedarf an Arbeitskräften, die mit Wohnraum zu versorgen waren. Nach der Gründung des deutschen Teilstaates konnte man sich daher nicht allzu lange Zeit lassen mit dem Wohnungsbau, und das in einer Phase, in der die Wirtschaft unter anderem wegen der Reparationen an die Sowjetunion am Boden lag. Widrige Bedingungen führten zu pragmatischen Lösungen – und daher ersann man eine Methode, die Bauweise zu vereinfachen. So entstand aus einer wirtschaftlichen Mangellage, die die DDR bis ans Ende begleitete, das serielle Bauen beziehungsweise der Plattenbau. Während man im Westen in der Regel noch Stein auf Stein baute, setze sich im Ostblock die neue Konstruktionsweise durch. Dabei kam es nur darauf an, schnell genug Wohnungen zu errichten, dazu noch ein paar Krippen, Kindergärten, Schulen und Kaufhallen. Auf ein ansprechend gestaltetes Umfeld achtete man genauso wenig wie auf eine interessante, abwechslungsreiche Fassadengestaltung oder Energieeffizienz. Man muss die Entstehungsgeschichte kennen, ohne die die baugeschichtliche und ästhetische Wertung zu einseitig bliebe.
Trotz aller Einschränkungen waren die Neubauwohnungen begehrt und beliebt, und sie sind es heute noch, wie man an der hohen Nachfrage bei den WGT-Objekten in Teltow sieht: Schließlich gibt es praktische Grundrisse, Aufzüge, oft auch Balkons, und besonders die mit Fernwärme betriebenen Zentralheizungen waren und sind beliebt und begehrt. Und mittlerweile haben auch andernorts die örtlichen Wohnungsgesellschaften viel dafür getan, dass sich die äußere Attraktivität verbessert hat. Fassadendämmung, Farbgestaltung und nicht zuletzt Begrünung haben zu einem angenehmeren Umfeld beigetragen. Nicht zuletzt können die ehemaligen Plattenbauten oft noch mit bezahlbaren Mieten punkten. Trotzdem – diese Wohnform trifft nicht auf jedermanns Geschmack, zumal die soziale Mischung nicht allen behagt. Gleichwohl hat sich in unserer Region die Nachfrage nach sanierten Plattenbauwohnungen positiv entwickelt – obwohl man in den 90er Jahren eher daran dachte, alle DDR-Bauten abzureißen.
Um Abrisspläne wird jedoch nach wie vor bei anderen Zeugnissen sozialistischer Architektur gerungen – und das bereits seit drei Jahrzehnten. Einerseits haben manche Bauwerke (wie das Potsdamer Ernst-Bergmann-Klinikum) mittlerweile die Grenze der Gebäudetüchtigkeit erreicht, weil Rohrleitungen, Heizungen und Elektrik, aber auch die Wärmedämmung nicht mehr den modernen Anforderungen entsprechen. Wie bereits erwähnt, wurden die Gebäude unter Mangelwirtschaft errichtet, so dass teilweise minderwertige Materialien zum Einsatz kamen. So wurden wegen Kupfermangels nur Aluleitungen eingebaut und statt gedämmter Kupfer- nur unisolierte Plasterohre. Weder energetische Aspekte noch Lärmschutz spielten eine Rolle – und so kommt es, dass sich die Sanierung heute oft wirtschaftlich nicht mehr lohnt oder nur mit sehr großem Aufwand zu betreiben ist. Gerade unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes muss man sich genau überlegen, ob ein Neubau nicht sinnvoller wäre. Andererseits wird auch der architektonische Wert angezweifelt, indem man die Ästhetik des DDR-Sozialismus als minderwertig betrachtet. Doch auch dieser Aspekt muss in den historischen Zusammenhang eingeordnet werden, zumal hier nicht nur Sachargumente eine Rolle spielen, sondern ebenfalls die emotionale Befindlichkeit einer Bevölkerung, die in diesem politisch-sozialen, ideologiegeprägten Umfeld großgeworden ist. In der Diskussion um den Erhalt der DDR-Architektur geht es um eine heikle Balance zwischen historischer Ehrfurcht und pragmatischen Erwägungen.
Die DDR-Ära war geprägt von einer Vielfalt architektonischer Stile, die vom nüchternen Nützlichkeitsgedanken des Plattenbaus bis zu monumentalen öffentlichen Bauten des stalinistischen Zuckerbäckerstils reichte. Befürworter des Denkmalschutzes argumentieren, dass der Erhalt dieser Gebäude zur architektonischen Vielfalt beiträgt. Die Entwicklung des Designs zu DDR-Zeiten wird durch diese Bauten veranschaulicht und spiegelt die sich verändernde Dynamik einer sich wandelnden Gesellschaft wider. Die Architektur der DDR ist nicht nur mit Ziegeln und Mörtel, sondern auch mit der kulturellen Identität Ostdeutschlands verwoben. Die Erhaltung dieser Bauwerke wird zu einem Mittel, um eine greifbare Verbindung zur Vergangenheit aufrechtzuerhalten und ein Gefühl der Kontinuität und Identität bei denjenigen zu fördern, die diese Ära erlebt habe, sie dienen als visueller und kultureller Anker in einer sich schnell verändernden Welt. Außerdem: Die Architektur der DDR bietet wertvolle Bildungsmöglichkeiten für Architekten, Historiker und die breite Öffentlichkeit, denn sie vermittelt Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kräfte, die die bauliche Umwelt der damaligen Zeit beeinflusst haben. Die Erhaltung wird zu einem lebendigen Geschichtsunterricht, der ein tieferes Verständnis für die komplexen Zusammenhänge ermöglicht, die Ostdeutschland geprägt haben.
Auf der anderen Seite: Die Bemühungen um die Erhaltung sind mit einem hohen Preis verbunden. Erhaltung und Restaurierung von DDR-Architektur erfordern oft erhebliche finanzielle Investitionen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Bereitstellung von Mitteln für den Denkmalschutz und der Bewältigung anderer Bedürfnisse wird zu einer entscheidenden Überlegung. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Erhaltungsmaßnahmen ist in vielen Gemeinden ein Streitpunkt. Die Architektur der DDR ist auch mit politischer Symbolik aufgeladen und steht für eine Zeit, die von politischer Unterdrückung und einem geteilten Deutschland geprägt war. Kritiker argumentieren, dass die Erhaltung dieser Bauwerke ungewollt die Erinnerung an ein Regime aufrechterhalten könnte, das die Menschenrechte verletzte und die Freiheiten einschränkte. Die Debatte darüber, ob die Erhaltung mit einer Befürwortung der politischen Ideologien jener Zeit gleichzusetzen ist, bleibt ein komplexes und kontroverses Thema. Ein weiterer Streitpunkt ist die ästhetische Anziehungskraft der DDR-Architektur. Kritiker bemängeln, dass die Nützlichkeit und Standardisierung vieler Gebäude nicht die ästhetische Anziehungskraft anderer Baustile besäße. Der TV-Moderator Günther Jauch sprach sogar von „sozialistischer Notdurft-Architektur“. Doch wie soll man den Leuten erklären, weshalb DDR-Bauten wie das „Ahornblatt“ in Berlin-Mitte abgerissen wurde und die ähnlich gestaltete Hamburger „Schwimmoper“ stehen bleiben durfte?
Die Entscheidung, die DDR-Architektur zu erhalten, ist daher ein vielschichtiges Thema, das einen nuancierten Ansatz erfordert. Dabei gibt es durchaus gelungene Beispiele dafür, dass leerstehenden Gebäuden, für die man lange keine Verwendung fand, letztendlich ein sinnvolles zweites Leben geschenkt wurde. Das ehemalige Postamt in Babelsberg, ein nicht besonders auffälliger Flachbau in der Nähe des S-Bahnhofs, dient nach der Sanierung als Co-Working-Space und erfüllt so die Anforderungen der modernen und mobilen, digitalen Berufswelt.
Das ehemalige Café Minsk in Potsdam wurde dank eines großzügigen Mäzens zu einer lebendigen Location, die DDR-Kunst im Rahmen von DDR-Architektur stimmig und historisch erhellend, aber zeitgemäß präsentiert.
Und so darf man hoffen, dass diejenigen DDR-Bauten, die noch der Sanierung harren, ebenfalls einer neuen Nutzung und Belebung zugeführt werden können. Das wäre ganz im Sinne des Berliner Städteplaners Hans Stimmann: „Um die Identität einer Stadt zu stärken, muss sich Architektur auf den historischen und städtebaulichen Kontext, die architektonische Tradition beziehen. Fortschritt heißt nicht Bruch, sondern Weiterentwicklung bewährter Traditionen.“
Fotos: Mario Kacner