„Was hat das mit mir zu tun?“ Hinsehen, Erleben und Handeln!
Unter diesem Motto hatte die Stadt Teltow, die Evangelische Kirchengemeinde St. Andreas Teltow, die Geschichtswerkstatt Teltow und die Grace-Hopper-Gesamtschule zum Abschluss des Gedenktages zur Befreiung Auschwitz zu einem ungewöhnlichen Gesprächsformat geladen.
Am 27. Januar 2025 jährte sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 80. Mal. Das Lager wurde am 27. Januar 1945 durch die 322. Infanteriedivision der 60. Armee der I. Ukrainischen Front unter dem Oberbefehl von Generaloberst Pawel Alexejewitsch Kurotschkin befreit. Die Rote Armee fand in dem evakuierten Komplex noch 7.600 Überlebende und 650 Leichen vor. In den Magazinen fanden die Befreier 843.000 Herrenanzüge, 837.000 Damenmäntel und -kleider, 44.000 Paar Schuhe, 14.000 Teppiche und 7,7 Tonnen menschliches Haar. Insgesamt wurden in Auschwitz nach neuesten Forschungen zirka 1,2 Millionen Menschen ermordet, davon 90 Prozent Juden, aber auch Sinti und Roma. Auschwitz gilt heute weltweit als Synonym für den Holocaust.
In ganz Deutschland wurde mit vielen Veranstaltungen dessen gedacht. In Teltow begann der Tag mit einer Kranzniederlegung am VVN-Mahnmal (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) in der Sandstraße. Im Anschluss daran fand ein Gedenkspaziergang entlang der Teltower Stolpersteine zur Grace-Hopper-Schule in der Mahlower Straße statt, bei dem Teltower Schülerinnen und Schülern Kurzvorträge über die Teltower Opfer des Holocaust hielten.
In der Aula der Grace-Hopper-Gesamtschule warteten zehn runde Tische mit jeweils ungefähr zehn Plätzen auf die Teilnehmenden. Schnell waren alle Stühle besetzt. Martin Bindemann, Diakon in der evangelischen Andreaskirche in Teltow, begrüßte die Gäste und bat Beate Rietz, stellvertretende Bürgermeisterin von Teltow, die Begrüßungsworte zu sprechen. Eindringlich mahnte sie: „Wir wollen uns erinnern und nicht vergessen und nur so können wir eine Wiederholung verhindern!“
Danach erklärte Martin Bindemann das Prinzip der Dialogtische, an dem je ein Vertreter oder eine Vertreterin eines Themenbereichs saß, mit dem die Jugendlichen der Grace-Hopper-Schule und die interessierten Erwachsenen jeweils eine viertel Stunde in den Austausch gehen konnten. Dann durfte ein anderer Tisch gewählt werden. Die begrenzte Zeit wollte es, dass dies nur insgesamt dreimal möglich war. Dabei gab es an jedem Tisch neue Informationen und Denkanstöße.
Irgendwann wird es keine Zeitzeugen mehr geben, die uns Antwort geben könnten auf die Frage, was unsere Großväter und -mütter während der Zeit des Dritten Reichs eigentlich getan oder gelassen haben. Waren sie Opfer, Mitläufer, oder vielleicht sogar Täter. In dieser Veranstaltung konnten die Teilnehmenden mit Nachkommen ins Gespräch zu kommen, die sich mit ihrer Familiengeschichte aus Täter- und Opferperspektive auseinandersetzten.
Ein Highlight war ohne Zweifel die Video-Schalte von Diane Camemisch, die aus Seattle zugeschaltet war. Ihr Vater floh 1939 in die USA, ebenfalls ein Onkel, der in Kleinmachnow gewohnt hatte. Hanna Gudenau hat die Geschichte ihrer Großtante Elisabeth Willkamm recherchiert, die 1942 Opfer der Euthanasie in den Ruppiner Kliniken wurde. Aber ebenso stieß sie auf einen Onkel, der als Offizier der Wehrmacht auf der Täterseite stand. Was macht man mit so einer Familiengeschichte? Auch die Autorin Marion Welsch musste bei ihrer Recherche erleben, wie die heile Fassade ihrer Erinnerungswelt bröckelte, als sie mit ihrem Vater an den Ort reiste, wo er einst als Kind eines Tuchfabrikanten aufgewachsen war. Es stellte sich nämlich nicht nur heraus, dass Marions Großvater Parteimitglied war, er wird überdies in den Annalen dieses Ortes als überzeugter „Nazi“ bezeichnet.
Aber es ging nicht nur um persönliche Familiengeschichten, sondern einige Gesprächspartner hatten schon jahrelang die Schicksale von Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt, gequält und getötet wurden, nachverfolgt und dokumentiert. So zum Beispiel Frank-Jürgen Seider, der das Pfarrarchiv des Kirchenkreises Teltow betreut. Er erläuterte, wie ab Januar 1933 die Stadtverordneten in Teltow, unter denen auch etliche Kommunisten waren, systematisch gegen Nazis ausgetauscht wurden. Auch Sabine Lillich von der Geschichtswerkstatt Teltow hat das Leben politisch Verfolgter und Zwangsarbeiter nachverfolgt. Sie gehört wie Martin Bindemann und Hanna Gudenau zu der Gruppe, die regelmäßig Stolpersteine verlegt. 32 sind es bis jetzt, die nächsten werden am 7. März in Seehof verlegt.
Mit von der Partie war auch Lucia Gail aus Groß Glienecke vom Verein Alexander-Haus. Dieses Haus am See ließ der jüdische Arzt Alfred Alexander 1927 für sich und seine Familie errichten. 1936 emigrierte die Familie Alexander nach Großbritannien. Die DDR überführte die Immobilie in Volkseigentum, es diente zwei Familien als Wohnraum. 2013 gründete sich der Verein zur Rettung des Hauses, dem auch Mitglieder der Familie Alexander, unter anderem der Urenkel von Alfred Alexander, Thomas Harding, angehören.
Es gäbe noch viel über diesen Abend zu erzählen, hier wurden nur einige Beispiele ausgewählt. Das heißt nicht, dass die übrigen Gesprächspartner nicht ebenso spannende Geschichten zu erzählen hatten. Doch an dieser Stelle lässt sich nur ein kleiner Eindruck schaffen. Sowieso waren diese zwei Stunden zu wenig, um die ungeheuerlichen Verbrechen der Nazis zu begreifen. Aber sie haben vielleicht – gerade bei den Jugendlichen – dazu beigetragen, sich näher damit zu beschäftigen, Fragen zu stellen und vor allen Dingen alles dafür zu tun, dass so etwas nie wieder passieren darf.
Fotos: Redaktion / Elisabeth Kaufmann