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Arbeit 4.0 in Brandenburg: Chancen und Risiken

Chancen, Risiken und Gestaltungsmöglichkeiten der Digitalisierung in der Arbeitswelt standen am 12. Juli im Mittelpunkt der Konferenz „Arbeit 4.0 in Brandenburg“. Auf Einladung von Arbeitsministerin Diana Golze diskutierten in Potsdam 150 Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner, von Unternehmen, Betriebsräten, Verbänden sowie aus Wissenschaft und Politik über Digitalisierungsprozesse in Brandenburger Betrieben und deren Auswirkungen. Es war die erste derartige Konferenz in Brandenburg.

Die Digitalisierung gehört zu den großen aktuellen Herausforderungen. Digitale Technologien und elektronische Vernetzung verändern Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen – egal ob in der Tischlerei, im zahntechnischen Labor, in der Landwirtschaft oder im Logistikunternehmen. Tätigkeits- und Qualifikationsprofile der Beschäftigten, aber auch Arbeitsbelastungen wandeln sich. Weiterbildung und betriebliche Mitbestimmung werden wichtiger denn je.

Ministerpräsident Dietmar Woidke: „Ganz eindeutig: Die Chancen der Digitalisierung überwiegen gegenüber den Risiken. Sehr viele Unternehmen setzen bereits auf IT-gestützte Arbeitsprozesse. Das bringt erhebliche Vorteile für die Unternehmen und die Beschäftigten. Themen wie Qualifizierung, Arbeitsschutz oder Mitbestimmung dürfen aber keinesfalls vernachlässigt werden. Mit der Digitalisierung befinden wir uns in einem weiteren Strukturwandel. Aber auch diesen werden wir bewältigen. Dafür legen wir die richtigen Grundlagen. Gemeinsam mit dem Bund, den Kommunen und den Netzbetreibern stecken wir bis zum Jahr 2019 gut 160 Millionen Euro in den Breitbandausbau und erarbeiten bis zum kommenden Jahr eine Digitalisierungsstrategie.“

Den Auftaktvortrag zum Thema „Perspektiven des Wandels in der Arbeitswelt“ hielt Prof. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). An der anschließenden Podiumsdiskussion „Digitales Arbeiten in Brandenburg – Anforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten“ beteiligten sich Arbeitsministerin Diana Golze, Berlins Arbeitsstaatssekretär Alexander Fischer, Alexander Schirp, Geschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB), Christian Hoßbach, stellvertretender Vorsitzender des DGB Bezirk Berlin-Brandenburg, ‎Bernd Becking, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit, und Dr. Norbert Huchler vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung.

Arbeitsministerin Diana Golze: „Die Digitalisierung verändert die Arbeit nachhaltig. Durch die Vernetzung von Arbeitsschritten sowohl in der Produktion als auch im Dienstleistungsbereich können nicht nur Produkte und Abläufe verbessert und neue Märkte erschlossen werden, sondern auch die Arbeitsorganisation und die Arbeitsanforderungen wandeln sich. Arbeit wird flexibler und oft unabhängiger von Ort und Zeit. Einige Arbeitsplätze und Berufsbilder werden verschwinden, neue entstehen. Wissen wird im Laufe des Erwerbslebens immer häufiger aktualisiert werden müssen. Dieser Wandel birgt nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Entscheidend ist, dass alle Arbeitsmarktakteure diesen Wandel und die Arbeit von morgen gemeinsam gestalten. Ziel müssen Gute Arbeit, gesunde Arbeitsbedingungen, gute Erwerbs- und Teilhabechancen, eine Kultur der Mitbestimmung und zukunftsfähige soziale Sicherungssysteme sein.“

Prof. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB): „Die Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt erfolgen nicht über die Abfolge der Generationen. Man muss heute alles daran setzen, eine präventive Bildungs- Ausbildungs- und Umschulungspolitik schnell und entschlossen aufzusetzen. Die Menschen selbst stehen diesen Veränderungen meist aufgeschlossen gegenüber, das zeigen die Daten der Vermächtnisstudie. Allerdings wissen sie nicht, wie sie selbst den Wandel mitgestalten können und brauchen daher die Hilfe von Arbeitgebern, öffentlichen Einrichtungen und der Politik. Beratung muss aktiv angeboten werden, die Bundesagentur für Arbeit in eine Agentur für Arbeit und Qualifikation umgebaut und neue soziale Sicherungssysteme entwickelt werden.“

Alexander Fischer, Staatssekretär für Arbeit und Soziales des Landes Berlin: „Arbeit 4.0 muss gute Arbeit sein. Die tiefgreifenden Wandlungsprozesse in Wirtschaft und Arbeitsorganisation erfordern angepasste Arbeitsbedingungen im Sinne der Beschäftigten. Berlin hat dazu gerade auf unserer Fachkonferenz am 17. Mai eine breite Debatte angestoßen. Damit sich Menschen in einer zunehmend digitalen Arbeitswelt souverän bewegen können, brauchen sie die entsprechenden Kompetenzen. Gerade auch diejenigen, die schon heute am Arbeitsmarkt benachteiligt sind, dürfen nicht noch mehr ins Abseits geraten. Es muss der Grundsatz gelten: Der Mensch zählt, die Technik dient.“

Alexander Schirp, Geschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB): „Brandenburg kann von einer mutig vorangetriebenen Digitalisierung enorm profitieren. Dazu müssen wir aber die Bedürfnisse der Beschäftigten und die Belange der Unternehmen in der Balance halten. In der Wirtschafts- und Arbeitswelt wird künftig ein höheres Maß an Differenzierung, Flexibilisierung und Spezialisierung nötig sein. Dafür brauchen wir Regeln, die sich an den speziellen Gegebenheiten von Branchen und Unternehmen orientieren. Hier ist auch die Kompetenz von Sozial-, Tarif- und Betriebspartnern gefragt. Durch die Digitalisierung können Unternehmen auch für Arbeitnehmer attraktiver werden. Wenn Firmen noch stärker als heute auf digitales Arbeiten setzen, können die Beschäftigten Beruf und Privatleben leichter miteinander vereinbaren. Neben den Unternehmen und den Beschäftigten müssen wir bei der Gestaltung der Digitalisierung aber auch die Kunden im Auge behalten. Sie wünschen sich immer individuellere Produkte und einen immer besseren Service. Darauf muss die Wirtschaft reagieren, um sich am Markt zu behaupten.“

Christian Hoßbach, stellvertretender Vorsitzender des DGB Bezirk Berlin-Brandenburg: „Digitalisierung verändert die Arbeitsplätze, und das nicht erst irgendwann in der Zukunft sondern heute, und das in praktisch allen Branchen. Damit wir sie im Interesse der Menschen gestalten können, brauchen wir stärkere Tarifbindung und stärkere Mitbestimmung. Dann kann vieles über kluge Tarifverträge organisiert werden. Von der Landesregierung erwarten wir eine Stärkung des Arbeitsschutzes und konkrete Unterstützung der Unternehmen bei der Weiterentwicklung ihrer Arbeitsorganisation.“

Bernd Becking, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit: „Mit der Digitalisierung werden viele Fragen aufgeworfen: Wie können wir den gegenwärtig hohen Beschäftigungsstand sichern oder sogar ausbauen? In welchen gesellschaftlichen Bedarfsfeldern und Branchen kann neue Beschäftigung entstehen? Welche Berufe und Branchen werden wie und mit welchem zeitlichen Horizont betroffen sein? Welche Qualifikationen werden gebraucht? All das hat Auswirkungen unter anderem auf unser Bildungs- und Ausbildungssystem, die das Rüstzeug für den technologischen Wandel liefern. Die Zukunft hat begonnen. Es ist jetzt die Zeit, mit den Partnern am Arbeitsmarkt die besonderen Herausforderungen anzupacken und gemeinsam gute Lösungen zu entwickeln. Dazu kann die heutige Konferenz einen wertvollen Beitrag leisten.“

Dr. Norbert Huchler vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung: „Der digitale Wandel wird ein lange andauernder Prozess sein. Während einzelne Bereiche der Arbeitswelt und Gesellschaft erobert und revolutioniert wurden und weiter werden, wird es zunehmend darauf ankommen das Neue mit dem Bestehenden und mit parallel laufenden Entwicklungen zu verknüpfen. Viele Digitalisierungsszenarien ignorieren noch diese Notwendigkeit, blenden die Komplexität der Praxis aus oder begegnen ihr mit einer Standardisierung, die ihre produktive Vielfalt gefährdet. Damit bleibt ein enormes technologisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Entwicklungspotential noch kaum erschlossen. Um die Digitalisierung voranzubringen, braucht es keinen Angst-Diskurs und nicht nur „Evangelisten“ und „Enthusiasten“ sondern einen realistischen, gestaltungs- bzw. praxisorientierten Blick auf konkrete Anwendungsfelder: Wo liegen die Vorteile digitaler Technologien? Wo liegen die Vorteile anderer Herangehensweisen – insbesondere humaner Arbeitskraft? Wie lässt sich dies so arbeitsorganisatorisch verbinden, dass sich ein optimales Zusammenspiel ergibt und sich Technologien wie Menschen weiterentwickeln können?“

Auf der Konferenz wurde eine neue Studie zur „Digitalisierung der Arbeitswelt in Brandenburg – Wirtschaft 4.0“ veröffentlicht, die die Wirtschaftsförderung Land Brandenburg GmbH (WFBB) im Auftrag des Arbeitsministeriums erstellt hat. Um zu erfahren, welche Rolle die Digitalisierung in der Brandenburger Wirtschaft spielt und welche Auswirkungen sich für die Arbeitswelt ergeben, wurden im Rahmen der Studie 84 Brandenburger Unternehmen aus allen Branchen untersucht.

WFBB-Geschäftsführer Dr. Steffen Kammradt erklärte: „Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Digitalisierung für die Unternehmen in Brandenburg eher positive Wirkungen erwarten lässt. Digitalisierung ermöglicht die Erweiterung traditioneller Geschäftsmodelle und die Entwicklung neuer Dienstleistungsangebote und Produkte. Klug eingesetzte digitale Technologie, die organisatorisch und personalwirtschaftlich eingebettet wird, kann zur Stabilisierung von Arbeitsplätzen und sogar zu einem Arbeitsplatzaufbau beitragen. Beschäftigte benötigen aber zukünftig neue Qualifikationen und Kompetenzen. In den kommenden Jahren wird es daher auch zu Entwicklungen in der Weiterbildungsstruktur kommen müssen.“

Die Studie steht im Fachkräfteinformationssystem Brandenburg als Download zur Verfügung: www.fis-brandenburg.de.

Die Auswertungen des aktuellsten IAB-Betriebspanel Brandenburg zeigen, dass das Thema Digitalisierung in den Brandenburger Betrieben präsent ist, stärker sogar als in ganz Ostdeutschland: Gut zwei Drittel der brandenburgischen Betriebe haben sich bereits mit den Möglichkeiten moderner Automatisierungs- und Digitalisierungstechnologien auseinandergesetzt und schätzen sie überwiegend positiv ein: 70 Prozent der märkischen Betriebe sehen ein mehr oder weniger großes Potenzial hinsichtlich des Einsatzes solcher Technologien (Ostdeutschland insgesamt: 62 Prozent, Westdeutschland: 63 Prozent). Das „IAB-Betriebspanel Brandenburg 2016“ wird am 24. Juli 2017 von Arbeitsministerin Diana Golze im Rahmen einer Pressekonferenz veröffentlicht.

Im zweiten Teil der Konferenz fanden vier Workshops statt, in denen u.a. folgende Gestaltungsbereiche bearbeitet wurden: Digitale Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung, sicher und gesund arbeiten in einer digitalisierten Arbeitswelt – wie neue Technologien das Arbeiten für Beschäftigte körperlich und psychisch erleichtern können, betriebliche Mitbestimmung in einer Wirtschaft 4.0 sowie Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitswesen.“

Die Veranstaltung „Arbeit 4.0 in Brandenburg“ des Arbeitsministeriums wurde aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Landes Brandenburg finanziert. Ausrichter und Ort der Veranstaltung war die Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB).

Der Begriff „Arbeit 4.0“ knüpft an die vierte industrielle Revolution („Industrie 4.0“) an, richtet aber den Blick auf die Arbeitsformen und Arbeitsbedingungen in der gesamten Arbeitswelt. Die vier Stufen der industriellen Revolution sind: Erste Stufe (Ende 18. Jhdt.): Mechanisierte Produktion mithilfe von Wasser- und Dampfkraft (erster mechanischer Webstuhl, 1784), Zweite Stufe (Ende 19. Jhdt.): Arbeitsteilige Massenproduktion mithilfe von elektrischer Energie (erstes Fließband, 1870), Dritte Stufe (Beginn 70er Jahre 20. Jhdt): Automatisierung der Produktion durch den Einsatz von Elektronik und IT (erste speicherprogrammierbare Steuerung, 1969), Vierte Stufe (heute): Einsatz von Cyber Physical Production Systems (CPPS).

Der digitale Wandel besonders von Arbeit und Wirtschaft ist ein Schwerpunktthema für die brandenburgische Landesregierung. Bereits in der kommenden Woche, am 19. Juli 2017, veranstaltet das Wirtschaftsministerium die „Industriekonferenz Brandenburg 2017“ an der Technischen Hochschule Brandenburg an der Havel. Im Mittelpunkt stehen dann die Herausforderungen für Industrieunternehmen durch die Digitalisierung (Wirtschaft 4.0).

 

Text: MASGF Brandenburg