Berlins Innensenator Geisel zur Aufarbeitung der Wahlen
Angesichts der Berichte über die Durchführung der Wahlen am 26. September 2021 ist die Aufarbeitung bei der Landeswahlleitung und in den Wahlämtern der Bezirke in vollem Gange, so die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport.
In Berlin läuft die Aufarbeitung der Wahlen zum Bundestag, des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen sowie des Volksentscheids zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen in privater Hand. Dabei werde die Korrektheit aller Wahlergebnisse stimmbezirksweise überprüft, um zum 14. Oktober 2021 ein amtliches Endergebnis der Wahlen festzustellen, so die Senatsverwaltung für Inneres und Sport in einer Pressemitteilung am Donnerstag.
„Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat nach Bekanntwerden der Vorfälle umgehend die Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister sowie die Landeswahlleiterin um Stellungnahme gebeten. Aktuell liegen zehn Berichte aus zwölf Bezirken vor. Die Bezirke Pankow und Treptow-Köpenick haben sich noch nicht gegenüber der Innenverwaltung geäußert. Zum großen Teil enthalten die Berichte bisher nur Zwischenstände, da die Bezirke ihre Überprüfungen der Vorgänge noch nicht abgeschlossen haben. Dementsprechend kann sich aus den vorliegenden Berichten noch kein vollständiges Bild der Geschehnisse am Wahlsonntag ergeben“, teilt die Senatsverwaltung mit. Gegenwärtig lasse sich unter dem Vorbehalt weiterer Aufklärung folgendes Bild skizzieren:
- „Etwa 37.000 ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer haben am Wahlsonntag die Durchführung der Wahlen vorgenommen, Stimmzettel ausgegeben, die Wahlberechtigungen überprüft und anschließend die vorläufigen Wahlergebnisse ausgezählt. Da die Wahlen diesmal unter Pandemie-Bedingungen stattfinden mussten und in Berlin außerordentlich umfangreich waren, wurden wesentlich mehr Wahlhelferinnen und Wahlhelfer als die 21.000 sonst in Berlin üblichen eingesetzt.
- Leider haben in der Woche vor dem Wahltermin und auch noch am Wahlwochenende mehrere Hundert vorgesehene Wahlhelfende ihre Mitarbeit aus unterschiedlichen Gründen abgesagt. Deshalb mussten kurzfristig Wahlhelfende und sogar Wahlleitungen nachbesetzt werden.
- Die Zahl der Wahllokale musste wegen der geltenden Pandemiebestimmungen (Abstandsgebot und Personen pro Quadratmeterbeschränkungen) drastisch erhöht werden, von bisher etwa 1.700 auf 2.245 Wahllokale. Trotzdem kam es fast überall zu längeren Warteschlangen.
- Die Stimmabgabe von bereits anstehenden Wählerinnen und Wählern nach 18 Uhr ist in der Bundeswahlordnung als milderes Mittel ausdrücklich vorgesehen.
- In der überwiegenden Mehrzahl der Wahllokale haben die Verantwortlichen – Wahlleitungen, Wahlämter und Wahlvorstände – trotz der hohen Belastung gute Arbeit geleistet. In vermutlich etwa 100 der 2.245 Wahllokale gab es jetzt zu überprüfende Vorgänge, über die bei jeder Wahl üblichen Nachzählungen hinaus.
- Vorläufige Schätzungen von Wahlergebnissen durch Wahlvorstände sind – wenn notwendig – bei der zeitnahen Ermittlung des vorläufigen Wahlergebnisses ausdrücklich vorgesehen. Genaue Nachzählungen sind für das amtliche Endergebnis selbstverständlich erforderlich.
- Spandau, Marzahn-Hellersdorf, Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf, Lichtenberg und Tempelhof-Schöneberg haben bisher keine größeren Probleme gemeldet.
- Das Problem der vertauschten, d.h. für andere Bezirke gedruckten Stimmzettel, ist an mehreren Orten aufgetreten. Die Mehrzahl der Bezirke konnte Fehler aber offenbar durch eigene Kontrollen und Weitergabe der Hinweise der Landeswahlleiterin an die Wahlvorstände weitestgehend verhindern. Die Ursache lag vermutlich in der nicht sortenreinen Verpackung bzw. falscher oder fehlender Beschriftung der Stimmzettelkartons durch die beauftragte Druckerei.
- Nur vereinzelt ist offenbar das Problem aufgetreten, dass Stimmzettel von den Wahlvorständen zeitlich begrenzt nicht ausgegeben wurden, obwohl sie vorhanden waren.
- Das Fehlen von ausreichenden Stimmzetteln trat, soweit bis jetzt bekannt, in drei Bezirken auf – Pankow, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg. Es wird vermutet, dass das Problem hier darin lag, dass ein großer Teil der an sich reichlich vorhandenen Stimmzettel zunächst für die Briefwahl zurückgehalten wurde. Die Verteilung der Reste auf die Urnenwahllokale misslang dann teilweise, ggf. auch durch Transportprobleme am Wahltag.
- Die in der Presse berichtete vorzeitige Schließung einzelner Wahllokale mit der Folge des Wahlrechtsverlustes für betroffenen Wahlberechtigte konnte bislang nicht verifiziert werden. Kein Bericht der Wahlleitungen belegt bisher solche Fälle.“
Dazu sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD): „Ich kann die Ungeduld und den Unmut der Berlinerinnen und Berliner sehr gut verstehen. Mir geht es nicht anders. Wahlen müssen selbstverständlich korrekt ablaufen. Alles andere schadet dem Vertrauen in die staatlichen Institutionen – und damit der Demokratie insgesamt. Fest steht aber auch: Es gilt jetzt bei der Ermittlung des amtlichen Endergebnisses Sorgfalt vor Schnelligkeit, um nicht noch mehr Verunsicherung zu schaffen. Wir müssen aus den ausschnitthaften öffentlichen Wahrnehmungen zu einer faktenbasierten systematischen Aufarbeitung kommen. Das heißt, dass jetzt zuerst die gesetzlich vorgesehenen unabhängigen und weisungsungebundenen Wahlorgane in den Bezirken und auf Landesebene ihre Arbeit abschließen müssen und das amtliche Endergebnis feststellen. Dazu gehört auch die Einzelfallprüfung der jeweils öffentlich erhobenen Vorwürfe.
Ich kann allen versichern, dass die Ergebnisse vollständig transparent gemacht werden. Es steht mir als Senatsmitglied derzeit aber noch nicht zu, mögliche Unregelmäßigkeiten öffentlich zu bewerten, ohne dass sie tatsächlich überprüft und festgestellt wurden. Dazu benötige ich erst die abschließenden Informationen der verantwortlichen Wahlausschüsse. Das ist rechtmäßiges Handeln und nicht Delegieren von Verantwortung. Die Innenverwaltung behält sich auch vor, nach Feststellung des amtlichen Endergebnisses selbst rechtliche Schritte zu prüfen.
Die Innenverwaltung hat darauf zu achten, dass Wahlen nach Recht und Gesetz ablaufen. Zu diesem Zweck hat sie die Möglichkeit, einen Einspruch gegen das von den Wahlorganen festzustellende Berliner Wahlergebnis beim Verfassungsgerichtshof einzulegen.
Ganz sicher brauchen wir nach Abschluss des Verfahrens eine tiefgreifende Fehleranalyse. Wir müssen verlässlich wissen, wo was und warum an welchen Stellen organisatorisch schiefgelaufen ist; und was wir zukünftig ändern müssen. Es ist unsere Pflicht, für die kommenden Wahlen organisatorische Fehler bei der Vorbereitung und Durchführung zu vermeiden. Ich beabsichtige, dem Senat und dem Abgeordnetenhaus deshalb vorzuschlagen, eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, die nach der Feststellung des amtlichen Endergebnisses die organisatorischen Vorgänge untersuchen soll. Diese Kommission muss breit aufgestellt sein mit Menschen aus der Praxis, z.B. Wahlhelfende, Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und Persönlichkeiten der Justiz und der Zivilgesellschaft. Zur Unterstützung der Arbeit der Kommission soll in der Innenverwaltung eine Geschäftsstelle eingerichtet werden.“
Hintergrund
Die wahlrechtlichen Vorschriften auf Landes- und Bundesebene sehen ein formales Verfahren für die Feststellung des Wahlergebnisses, die Dokumentation der Unregelmäßigkeiten und die Wahlanfechtung vor. Danach werden bis zum 11. Oktober 2021 die Bezirks- bzw. Kreiswahlausschüsse (für die Bundestagswahl) zusammenkommen; am 14. Oktober 2021 wird der Landeswahlausschuss tagen. Die Sitzungen sind öffentlich. Die Ausschüsse werden das Wahlergebnis auf der jeweiligen Ebene feststellen und die Bedenken gegen die Unregelmäßigkeiten der Wahl festhalten. Danach können dann u.a. Wahlberechtigte, Kandidaten, Parteien, die Bezirkswahlleiter, die Landeswahlleiterin, der Bundeswahlleiter und auch die Senatsverwaltung für Inneres und Sport unter unterschiedlichen Voraussetzungen Einspruch gegen das Wahlergebnis beim Verfassungsgerichthof bzw. dem Bundestag einlegen. PM
Bild: Redaktion