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Olaf Scholz – Kranzniederlegung auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf

Bundeskanzler Olaf Scholz wird am 24. August gemeinsam mit Vertretern der Landes- und Kommunalpolitik am Grab von Rudolf Breitscheid anlässlich seines 80. Todestages gedenken und Blumen niederlegen. Rudolf Breitscheid gehörte zu den aufrechten Sozialdemokraten, die offen für die Demokratie in Deutschland eintraten und gegen Machtpolitik und Gewaltherrschaft kämpften. Bundeskanzler Scholz besucht sein Grab auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf, um Breitscheid zu ehren, aber auch um ein Zeichen zu setzen, dass sich Politik und Gesellschaft immer wieder für den Erhalt unserer Demokratie in Deutschland einsetzen.

In einer Zeit, in der die deutsche Sozialdemokratie immer mehr an Zustimmung in der Bevölkerung verliert, erinnert die heutige Kranzniederlegung wir an einen großen Sozialdemokraten, der sich in der Weimarer Republik gleichermaßen nach links und rechts abzugrenzen wusste. Er floh vor den Nazis, wurde vom französischen Vichy-Regime verraten, kam im KZ Buchenwald tragisch ums Leben und liegt auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf begraben – eine spannende Biografie mit interessanten Bezügen zur Gegenwart.

Der Name „Breitscheid“ erinnert an den nach ihm benannten Breitscheidplatz in Berlin – und seit dem 19. Dezember 2016 an das grausame Attentat eines islamistischen Terroristen auf Besucher des dortigen Weihnachtsmarkts. Ähnlich tragisch endete das Leben von Rudolf Breitscheid, dessen Karriere zunächst so hoffnungsvoll und vielversprechend begonnen hatte. Breitscheid wird am 02. November 1874 als Sohn des Buchhändlers Wilhelm Breitscheid und dessen Frau Wilhelmine in Köln geboren. Nach dem Abitur am dortigen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium beginnt er in München ein Studium der Nationalökonomie (heute: Volkswirtschaftslehre), das er in Marburg fortsetzt und 1898 mit einer Doktorarbeit über „Die Landpolitik in den australischen ­Kolonien“ abschließt. Bereits während des Studiums ist er politisch interessiert und schließt sich 1903 einer liberalen Partei an.

Bei den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 wurde Rudolf Breitscheid für die USPD in das Parlament gewählt.
Breitscheid, der zur engeren USPD-Führung gehörte, lehnte die Vereinigung seiner Partei mit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und den Anschluss der USPD an die Kommunistische Internationale (Komintern) ab.

Ein Jahr später wird er, der zunächst als Redakteur bei verschiedenen liberalen Zeitungen in Hamburg und Hannover arbeitete, in die Berliner Stadtverordnetenversammlung und ebenso in den brandenburgischen Landtag gewählt. Unzufrieden mit dem politischen Kurs seiner Partei tritt er 1908 aus, heiratet die Frauenrechtlerin Tony Drevermann und gründet zusammen mit anderen Aktiven die linksliberale „Demokratische Vereinigung“, deren Vorsitzender er bis zur Wahlniederlage im Jahre 1912 bleibt. Es folgt ein Beitritt zur SPD, mit deren politischer Agenda er sich aber ebenfalls nicht dauerhaft identifizieren kann. Tony Breitscheids Schrift zum Frauenwahlrecht (1911)Schließlich wechselt er 1917 zur Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), die aus einer Protestbewegung gegen die von der SPD bewilligten Kriegskredite entstand, und wird Herausgeber der Zeitschrift „Der Sozialist“.

Schon damals ist die SPD in verschiedene Flügel gespalten, das reicht von konservativen Königstreuen bis zu Anhängern der marxistischen Spartakus-Bewegung unter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Auf Dauer gewinnt die SPD jedoch die Oberhand – nicht zuletzt deswegen, weil auch die USPD mit inneren Kämpfen zu tun hat. Der linke, ­moskaunahe Flügel strebt eine Arbeiterrevolution an, die von anderen Teilen der Partei nicht mitgetragen wird. Allerdings ist die SPD damals Regierungspartei und stellt mit Friedrich Ebert den Reichspräsidenten der Weimarer Republik. Ihm gelingt es, den Arbeiteraufstand wie auch den Kapp-Putsch zu beenden. In der Folge vereinigen sich 1922 konservativere Teile der USPD wieder mit der SPD – unter ihnen auch Rudolf Breitscheid. Vorher war er von 1918 bis 1919 preußischer Innenminister und saß ab 1920 für die USPD im Reichstag. Nach 1922 ist er Vorsitzender und außenpolitischer Sprecher der SPD-Reichstagsfraktion. Er setzt sich für internationale Versöhnung ein, unterstützt Stresemanns Frankreichpolitik, wird Mitglied der deutschen Delegation beim Völkerbund und Präsidiumsmitglied des 1918 gegründeten Komitees Pro ­Palästina, das sich für eine Wiederansiedlung der Juden starkmacht.

Dadurch gewinnt Breitscheid auch internationale Anerkennung und Beachtung. So schreibt der britische „Manchester Guardian“ 1922: „Breitscheid ist eine der auffälligsten Gestalten im Haus. Er ist ungewöhnlich groß, hat lange, schmale Gesichtszüge und eine leicht gebückte Haltung. Er ist der fähigste Redner im Haus – witzig, bissig, schlagfertig und sehr wortgewandt. Seine Spezialität ist die Außenpolitik. Die Kommunisten bezeichnen ihn als ‚Konterrevolutionär‘ und ‚Salon-­Sozialist‘, und in der Tat ist in seinen Reden meist wenig Sozialismus zu finden, außer gegen Ende, wenn er sich auf seine Pflicht gegenüber seiner Partei zu besinnen scheint und die Proletarier aller Länder zur Einheit aufruft. Nichtsdestoweniger sind seine vernichtenden Anprangerungen der rechten Pan-Germanen weitaus eindrucksvoller als die aufrührerische Rhetorik der selbsternannten Revolutionäre, und wenn Dr. Breitscheid aus der Politik verschwinden würde, würde die deutsche revolutionäre Bewegung (oder das Wenige, was von ihr übrig ist) mehr verlieren als durch das Verschwinden ­eines halben Dutzends Kommunisten.“

Tatsächlich teilt er aber gleichmäßig nach rechts wie nach links aus. So wird er besonders in den letzten Jahren der Weimarer Republik als prominenter Sozialdemokrat zum Schmähobjekt für die rechtsradikale Presse, denn er ahnt die Folgen einer Hitlerdiktatur klar voraus: „Wir haben die Frage auszuwerfen: was würde der Sieg des Hitlertums bei der Reichspräsidentenwahl bedeuten? Die erste Antwort … heißt: Sturz der Weimarer Verfassung. Gewiss, ich gebe zu, dass der Boden der Demokratie jetzt eingeengt ist durch das System der Notverordnungen, … (aber) dieses Terrain, dieser Boden kann wieder bereinigt werden, die Stacheldrähte der Notverordnungen können beseitigt werden. Kommt das Hitlertum zur Herrschaft, dann ist das Fundament beseitigt, auf dem wir das Haus unserer Zukunft und das Haus unserer Kinder aufbauen können.“ – In der gleichen Rede grenzt sich Breitscheid von den Kommunisten ab: „Sie beantragen, dass alle privaten Schuldverpflichtungen an das kapitalistische Ausland annulliert werden. … Die Kommunistische Partei kommt und streicht mit einem Federstrich die Schulden der Kapitalisten. Ich muss schon sagen: eine größere Selbstaufopferung haben wir auch bei der Kommunistischen Partei noch nicht erlebt.“ Kein Wunder, dass er kurz nach Hitlers Machtergreifung die Flucht ergreifen muss – zuerst in die Schweiz, dann nach Frankreich, wo er die Vertretung deutscher Emigranten leitet. Währenddessen wird ihm von den Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen und sein Doktortitel aberkannt.

Das Grab – heute ein Ehrengrab der Stadt Berlin – liegt im Bereich Lietzensee, Feld 22, Wahlstelle 115.

1940 muss er vor den deutschen Truppen nach Südfrankreich fliehen. Das in Frankreich herrschende antisemitische Vichy-Regime, das mit den deutschen Besatzern kollaboriert, verrät seinen Aufenthaltsort an die Gestapo, die ihn und seine Frau ins KZ Sachsenhausen deportiert, später in ein Sonderlager des KZs Buchenwald. Am 24. August 1944 bombardieren amerikanische Truppen das Gebiet. Breitscheid und seine Frau werden verschüttet. Tony Breitscheid wird schwer verletzt, Rudolf nur noch tot geborgen. Tony (1878 – 1968) zieht nach ihrer Genesung zu ihrem Sohn nach Dänemark, die Urne mit der Asche Rudolf Breitscheids wird Angehörigen übergeben und auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof beigesetzt.

Fotos: Förderverein Südwestkirchhof Stahnsdorf e.V.