BerlinEuropaForschungGesundheitPotsdam-MittelmarkStahnsdorfTeltowUmweltVerkehrWetterWirtschaft

Verkehr scheinbar nicht Hauptverursacher von Feinstaub

Über die letzten Jahre wurden in Teltow digitale und hochauflösende Umweltdaten erhoben. Neben zahlreichen fest installierten Messstellen an Lichtmasten wurden die Daten auch über mobile Stationen – zum Beispiel auf Regiobussen, McDonalds- und Ordnungsamtsfahrzeugen oder einer Kehrmaschine des Bauhofes TKS – erfasst. Zum ersten Mal wurde die mobile Sensorik mit stationären Feinstaubmessungen kombiniert. Am 22. April wurden die Ergebnisse im Teltower Stubenrauchsaal vorgestellt.

„Wenn wir wissen, welche Gebiete in unserer Stadt besonders stark oder sehr gering mit Feinstaub belastet sind, hilft uns das zum Beispiel bei der Standortwahl für eine Kita oder bei der Entscheidung für ein Pflegeheim“, sagt Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) im November 2022 zum Start des Projekts DEUS Smart Air, zu dem sich die Stadt Teltow, der Landkreis Potsdam-Mittelmark und private Unternehmen zusammengeschlossen haben. Denn Luft ist nicht gleich Luft. Seit den 1980er Jahren gelten in der EU strenge Regeln zur Verringerung der Luftverschmutzung, was zu einem erheblichen Rückgang bei den Emissionen der wichtigsten Luftschadstoffe geführt hat. Trotzdem sterben in Europa jedes Jahr rund 300.000 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung. Aus diesem Grund hat sich die EU das Ziel gesetzt, bis 2050 emissionsfrei zu werden, und arbeitet an neuen Rechtsvorschriften, um dieses Ziel zu erreichen. Den größten Schaden erleidet Europas Bevölkerung duch Feinstaub (PM2,5). Feinstaub ist so klein, dass er in die Lunge und in den Blutkreislauf eindringen und schwere Gesundheitsschäden verursachen kann. Er besteht aus festen Partikeln und flüssigen Tröpfchen unterschiedlicher Größe. Während Staub und Pollen noch mit bloßem Auge erkennbar sind, haben die Partikel, die bei der Verbrennung entstehen, die Größe von Bakterien. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist 30-mal dicker als ein Feinstaubpartikel.

Noch vor drei Jahrzehnten galten Auspuffemissionen als Hauptverursacher von Feinstaub. Dank verbesserter Technik und Partikelfiltern bei Lastwagen, Autos und Motorrädern gelangen heute weniger Abgase in die Atmosphäre. Inzwischen stammt ein Großteil des Feinstaubs aus dem Abrieb von Bremsen, Reifen und Straßen. Aber auch die Industrie, die Abfallwirtschaft, die Landwirtschaft und die Kamine der privaten Haushalte erzeugen Feinstaub.

Mobile und modulare stationäre Sensoren werden eingesetzt, um die tatsächliche Umweltbelastung im urbanen Raum in Echtzeit und mit einer für ein Flächensystem bisher unerreichten Genauigkeit zu erfassen.

Mit über 5.000 installierten Sensoren in 30 europäischen Städten mit insgesamt mehr als 45 Millionen Einwohnern – darunter Paris, Lissabon, London und Madrid – ist die Erfassung hochauflösender digitaler Umweltdaten durch das Stahnsdorfer Unternehmen DEUS (Digital European Real Time Urban Environmental Data and Smart Section Traffic Control System) und seine Partner das größte europäische Projekt zur gleichzeitigen Messung von Luftschadstoffen und Verkehr in Echtzeit. Das Messnetz ermöglicht es den Städten, detaillierte Kenntnisse über Luft, Lärm und Verkehr zu gewinnen. Dank dieser innovativen Unterstützung können sie ihren Bürgern einen besseren Service bieten und die Daten in ihre eigenen Smart-City integrieren. Städte müssen sich nicht mehr um den Aufbau und den Betrieb von Umweltmessnetzen kümmern, sondern können sich auf die Entwicklung neuer Lösungen konzentrieren, um Schadstoffe zu reduzieren und eine gesündere Umwelt für ihre Bürger zu schaffen.

In Deutschland konnten die Städte Teltow und Halberstadt als Projektpartner gewonnen werden. Dafür wurden in Teltow Busse der Regiobus-Verkehrsgesellschaft Potsdam-Mittelmark, Lieferfahrzeuge von McDonalds Teltow, Fahrzeuge des Kreisbauhofes und des Ordnungsamtes Teltow mit speziellen Sensoren ausgestattet. Zusätzlich wurden an mehreren Stellen im Stadtgebiet Sensoren fest installiert. Mittels Laser wurde die Anzahl der Feinstaubpartikel in der Größe von 0,3 bis 10 Mikrometer in der Luft gezählt.

Mobile Boxen auf McDonalds-Lieferfahrzeugen wurden ebenfalls eingesetzt.

Die Sensoren liefern in Echtzeit die Schadstoffbelastung in der Berliner Metropol-Region, die von Potsdam über Teltow bis ins südwestliche Berlin reicht. Zu erkennen sind dabei nicht nur Umweltdaten, sondern auch Verkehrsströme und –belastungen auf einzelnen Strecken und in einzelnen Stadtteilen. Damit ist ein realistischer Einblick in die gesamte Verkehrsinfrastruktur möglich – aktuell und zu jeder Zeit. Bedeutsam ist das Projekt auch deswegen, weil die neue EU-Luftqualitätsrichtlinie die Grenzwerte halbiert hat und damit alle Kommunen vor neue Herausforderungen stellt.

36 Busse von Regiobus wurden mit mobilen Feinstaubmessstationen ausgestattet. Damit konnte der Radius bis Potsdam erweitert werden.

Am Montag wurden die Ergebnisse im Teltower Stubenrauchsaal präsentiert. Projektleiter Marc Nodorft von der Füllner&Partner GmbH bedankte sich beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, der Stadt Teltow und den zahlreichen Partnern, die ihre Ressourcen für das Projekt zur Verfügung gestellt haben und nannte einige der Anlaufschwierigkeiten. So begann das Projekt fast zeitgleich mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, was zu Kontaktschwierigkeiten innerhalb des Teams führte und alle Beteiligten vor unvorhergesehene Probleme stellte. Ein weiteres Anfangsproblem stellten die Lichtmasten im Stadtgebiet dar, die nicht für eine dauerhafte Versorgung der Messgeräte mit 230 V ausgelegt sind, so dass die Messgeräte mit Batterien nachgerüstet werden mussten. Auch der Bau der Messgeräte erwies sich als Herausforderung, da viele Lieferketten zusammengebrochen waren und z.B. Aluminiumprofile schließlich aus Thailand bestellt werden mussten. Trotzdem konnte eine Genauigkeit von 0,7 % bezogen auf den Referenzwert erreicht werden. Die Messgeräte sind in der Lage, Anomalien einschließlich flüchtiger organischer Verbindungen zu erkennen. Zudem sind sie, wie ein Praxistest vor Ort gezeigt hat, einfach und intuitiv zu bedienen und zu warten. Durch die einfache Integration von Sensoren für unterschiedlichste Messaufgaben konnten die Messgeräte auch nachträglich zum Beispiel für die Erfassung der Methanwerte aus dem Klärwerk Teltow nachgerüstet werden.

Mit den gewonnenen Daten soll das Leben in den Städten verbessert werden. DEUS konnte auf die Unterstützung zahlreicher Partner zählen, darunter das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Regiobus, Pollutrack SAS&LPC2-CNRS, McDonalds, die Stadt Teltow, das Ordnungsamt oder der Bauhof TKS.

„Wir sind stolz, Teil dieses Projekts zu sein“, sagte Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt. „Wir sind keine Versuchskaninchen, sondern haben uns auf einen interessanten Weg begeben, auf dem wir wichtige Erkenntnisse für die Kommune, den Verkehr und unsere Stadtplanung gewinnen konnten.“ Einmal in Funktion, messen die Geräte alle zwölf Sekunden. Die mobilen Geräte, die auf den Dächern der Fahrzeuge montiert sind, können so im Straßenverkehr alle 100 Meter Daten erfassen. Gemessen wurden nicht nur Pkw, sondern auch Lkw, Busse, Motorräder, Fahrräder und Fußgänger. Für jede Gruppe wurden separate Daten erhoben, die von Forschungseinrichtungen wie dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastrukturprobleme ausgewertet wurden. Bei der Datenerhebung konnte DEUS auf die Erfahrungen des französischen Forschungsteams von Pollutrack SAS & LPC2E – CNRS Laboratory aus Orleans zurückgreifen. Marc Nodorft bedankte sich bei Dr. Jean-Baptiste Renard und hob die „kreative und agile französische Arbeitsweise“ hervor. Durch die Kombination mobiler und stationärer Sensoren wurden qualifizierte Echtzeit-Umwelt- und Verkehrsdaten erfasst und mit historischen Daten in Bezug gesetzt. Im Ergebnis sollen intuitive Analyse- und Prognose-Tools die Kommunen dabei unterstützen, die Bevölkerung zu informieren und ggf. Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität – wie die gezielte Begrünung von Städten, Verkehrsverlagerung und -verflüssigung (Umweltsensitives Verkehrsmanagement „UVM“) – einzuleiten.

Zu den wichtigsten Schadstoffen zählen Feinstaub, Ammoniak, Methan, Ozon, Stickoxide, Schwefeldioxid oder flüchtige organische Verbindungen ohne Methan. Jeder dieser Stoffe ist schädlich, und einige können durch chemische Prozesse miteinander reagieren und Feinstaub oder Ozon bilden. Bis 2030 soll es in Europa mehr als 50.000 Sensoren im Echtzeitbetrieb geben.

Gemessen wurde die primäre und die sekundäre Luftverschmutzung. Sekundäre Luftverschmutzung entsteht, wenn positiv ionisierte Gase (z.B. landwirtschaftliche Düngemittel) mit negativ ionisierten Gasen (z.B. Verbrennungsemissionen aus städtischen Abgasen) kombiniert werden. Das Wetter spielt immer eine wichtige Rolle. Es wird an den Messstationen benötigt, damit das Prognosesystem in Korrelation mit der Wettervorhersage einen Ausblick auf die Schadstoffbelastung z.B. für den nächsten Tag geben kann. Außerdem wurden lokale und importierte Schadstoffe gemessen. Nach Auswertung der Daten kam das DEUS-Team zu dem Schluss, dass Kommunen nur begrenzt lokal gegen Luftverschmutzung vorgehen können. Erforderlich sind koordinierte Maßnahmen auf europäischer und Bundesebene. Die Ergebnisse zeigen auch, dass der Verkehr nicht der Hauptverursacher von Feinstaub ist.

Auf Basis der gewonnenen Ergebnisse werden Modelle entwickelt und validiert, mit denen Verkehrs- und Luftschadstoffprognosen in hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung abgebildet werden können. Darauf aufbauend werden onlinebasierte Abfrage- und Analysetools entwickelt, auf die Kommunen und Bevölkerung über Smartphones oder Computer zugreifen können. Für Kommunen und Behörden sollen sowohl der Zugriff auf die originär erhobenen Daten für eigene Auswertungen als auch intuitiv aufbereitete SaaS-Systeme (Fachinformationssysteme) geschaffen werden. In naher Zukunft plant DEUS eine Kooperation mit der Stadt Hamburg.

Fotos: Redaktion